Im Lebenszyklus ist der Tod eingebettet

«Dert hie», sagt Regula Kaeser-Bonanomi, wenn andere Jenseits sagen. In ihrem Keramikatelier entstehen Urnen, mit Ritualen begleitet sie Menschen in den verschiedensten Lebenslagen.

Was haben wir gelacht. Keramikerin Regula Kaeser-Bonanomi, Fotografin Daniela Friedli und der Autor verbrachten zusammen einen fröhlichen Nachmittag in der lichtdurchfluteten Töpferwerkstatt in Münsingen BE. Beim Abschied fragt der Autor: Darf man über den Tod reden, über das Sterben, über Bestattungen und Kremationen und dabei fröhlich sein? Darf man lachen, den einen oder anderen Spass machen, es lustig haben?

«Sicher! Nicht nur, aber auch», sagt Regula Kaeser-Bonanomi. «Ich finde es gut, wenn sich jemand entkrampft und befreit diesem Thema annähert.» Die 50-Jährige verheiratete Mutter zweier erwachsener Söhne beschäftigt sich schon seit drei Jahrzehnten mit dem Lebensende. «Mit Zwanzig erlebte ich den Suizid einer lieben Freundin», sagt sie. «Das tat unheimlich weh und ging mir sehr nahe.» Logisch, dass danach Fragen auftauchten. Nach langjährigem Verdrängen begann die junge Frau, nach Antworten zu suchen. «Und zwar ännet dr Wält.» Sie lacht. «Ich ging in Gedanken auf Weltreise. Befasste mich mit den verschiedensten Glaubensrichtungen. Ich verschlang das ‹tibetische Totenbuch›, wurde ruhig im Yoga, meditierte mit Buddhisten und räucherte, wie indigene Völker es seit jeher tun. Der Tod, das Sterben und Abschiednehmen, die Trauer, das alles war allgegenwärtig in meinem Denken, Handeln und Fühlen.»

«Meine Arbeit unterliegt ebenfalls einem Zyklus»

Einen Durchbruch in ihrer Suche nach dem Sinn des Sterbens erfuhr Regula Kaeser-Bonanomi 2003 bei «Jahreskreis-Ritualen» von Ursula Seghezzi. «Dort draussen in der wilden Natur erlebte ich, wie mir das Sterben vorgelebt wird. Ich erlebte, dass es den Tod so eingebettet braucht. Leben und Sterben, Tod und Geburt sind ein Zyklus», sagt sie, lacht. «Plötzlich war mir alles klar. Ich erkannte den Zyklus in unserem Leben, in meiner Arbeit. Das waren wunderbare Momente.»

Der Zyklus in der Arbeit einer Keramikerin ist für Laien schnell zu verstehen. «Ich forme aus Ton, berndeutsch aus Lätt, eine Figur» sagt Regula Kaeser-Bonanomi. «Kommt diese ins Wasser, wird sie Schlamm, daraus wächst wieder formbarer Lätt.» Und aus diesem Lätt entsteht unter den Händen einer Keramikerin, eines Keramikers erneut ein Objekt, das später zu Staub zerfällt.

So passiert es ebenfalls mit Urnen. Egal ob ungebrannt oder gebrannt, das Gefäss mit der Asche wird früher oder später wieder Erde werden. «Und so gehts im Kreis um und um.»

«Eines nachts erschien mir die Tödin»

Im Vorgespräch zu diesem Beitrag erzählt Regula Kaeser-Bonanomi dem Autor von einem Traum. Im Atelier ist diese Geschichte wieder ein Thema. Im Traum erschien ihr ein zartes, ein sanftes, ein starkes Wesen. «Ich wusste, das ist die Tödin, also die Frau Tod. Ich wusste, sie ist meine nächste Instanz.» Regula Kaeser-Bonanomi schweigt kurz, fährt dann fort: «Seither ist sie bei mir. Ab und zu verweile ich ganz dicht bei ihr, hole mir eine Bestätigung oder bringe ihr ein Geschenk. Gerufen habe ich sie nicht, sie war einfach da. Begleitet mich.» Die Keramikerin hält nochmals inne. Lächelt und sagt ohne Scheu: «Eines Tages holt sie mich. Dann wird unsere Begegnung ganz konkret.»

Fürchtet sie sich denn nicht vor dieser anderen Welt? «Nein, warum denn?», sagt Regula Kaeser-Bonanomi. «Ich habe einen lebendigen Zugang zu den Kräften und Wesen im weiten Umfeld meines Lebenszyklus. Drum bin ich zuversichtlich, dass ich, dass wir alle, dert hie einst wohlwollend empfangen werden.»

Urne von Regula Kaeser-Bonanomi
Hände halten Urnen: Ausstellungsstücke im Keramikatelier von Regula Kaeser-Bonanomi. (Foto: Daniela Friedli)

Lebenszyklus: Im Garten zerfällt der Frosch zu Lätt

Irdische Wesen entstehen ebenfalls im Atelier der Keramikerin. Eine imposante Gelbbauchunke lugt im Garten unter der Schneedecke hervor. Sie schaut Besucher mit grossen Augen an. In einer Ecke des Ateliers umarmt eine fast lebensgrosse Mutter ihre Tochter und deren Kind. Draussen im Garten stehen und sitzen weitere Figuren. Sie wirken gross wie Menschen. Nicht zu übersehen sind die Urnen in einem Gestell. Kugeln sinds, die von Händen gehalten werden. Kleine Urnen mit kleinen Händen für die Asche von Kindern. Grosse Kugeln mit grossen Händen für die Asche Erwachsener.

Aus Lätt entsteht im Atelier ein neues Objekt

Seit Regula Kaeser-Bonanomi vor einigen Jahren angefragt wurde, ob in ihrem Atelier ein Grabstein getöpfert werden könne, entstehen da Objekte für Bestattungen und Abschiedsrituale. Das läuft verschieden ab. Manchmal gibts einen individuellen Auftrag, den die Keramikerin ausführt. Und manchmal kommen Einzelpersonen zur Handwerkerin. Sie wünschen für sich selbst eine Urne zu formen oder für eine bestimmte Person. Möglich ist ebenfalls an einem Kurs teilzunehmen. «Diese Kurse sind für Menschen gedacht, die sich der Endlichkeit des Körpers und der Unendlichkeit der Seele zuwenden wollen», sagt Regula Kaeser-Bonanomi. «Gemeinsam mit der anderen Kursleiterin, der Musikerin Beatrice Neidhart, erforschen wir tiefe Schichten in uns drinnen, feiern das sinnliche Leben. Dann trauern wir, sind Seele. Wir singen, klingen, summen, lauschen, schauen. Wir sehen, machen sichtbar, werden konkret, und wir bauen eine Urne.»

Regula Kaeser mit Urne
Regula Kaeser-Bonanomi zeigt Giovanna eine neue Urne. Zwischen den Händen ist die Öffnung für die Asche. Mit Bienenwachswaben wird das Gefäss schlussendlich verschlossen. (Foto: Daniela Friedli)

Giovanna baute eine Urne

Eigentlich sollte es ihr letztes Bett werden. Giovanna, 58-Jährige Betreuerin junger Menschen mit Unterstützungsbedarf, beschäftigte sich lange mit der Vorstellung, eine Urne zu töpfern. Während der Monate die sie auf einen Kurs wartete, wurde ihr bewusst, dass sie die Urne für ihren Sohn machen könnte. «Ich redete mit ihm darüber. Es war mir klar, dass ich das Tongefäss brennen lassen könnte, dann wäre es möglich, die Urne mehrfach zu verwenden. «Man könnte die Asche abfüllen und sie dann irgendwo verstreuen. Danach wäre die Urne frei, die Asche eines anderen Familienmitglieds aufzunehmen.»

Giovanna erlebte die Zeit vor und nach dem Urnen-Baukurs als äusserst spannend. «Die Auseinandersetzung mit dem Tod, mit dem Sterben führte mich in meine Kindheit zurück. Die war angstbesetzt. Himmel, Hölle und Sünde waren allgegenwärtig. Damals, in jungen Jahren, wurde ich Mitglied bei einer Sterbeorganisation. Mein Wunsch war, dass ich Menschen begegne, die mit mir zusammen den Versuch wagen, dem Tod seinen Schrecken zu nehmen. Ich wollte Menschen begegnen, mit denen ich lernen kann, der Angst vor dem Tod ins Gesicht zu schauen.» Sie hält inne. Schweigt. «Mir wurde vieles bewusst. Ich wusste, sterben ist Arbeit. Das erlebte ich mit meiner Mutter. Ich war bei ihrem Sterben dabei. Es war der intimste Moment, den wir zusammen erlebten. Das Urnenbauen ist zu einem Mosaikstein in meinem ureigenen Bild vom Tod und Sterben geworden.»

Verstorbene bleiben im «dert hie»

Regula Kaeser-Bonanomi nickt und sagt: «Ich glaube, niemand kann sich dieser Energie entziehen. Denn die ist ganz individuell, so wie wir Menschen.» Kurz ist es still im Atelier. Dann fragt der Autor, was es mit dem «dert hie» auf sich hat. Mit dem «dort hier». Die Keramikerin lacht fröhlich, einmal mehr. «Ich bin überzeugt, Verstorbene bleiben in irgendeiner Form bei uns. Sie sind also dort, im Himmel, im Paradies, irgendwo im Licht, wie immer wir das nennen. Und sie sind hier. Bei uns. So wie meine Grossmutter, die in diesem Haus lebte. Und irgendwie immer noch da wohnt. Sie höckelt zuoberst auf der Estrichtreppe. Manchmal lafere ich mit ihr.»

Das alles leuchtet ein. Ist irgendwie stimmig, verständlich und tröstlich. Für Regula Kaeser-Bonanomi sind die Urnen-Gefässe aus Lätt, sind ein Klumpen Mutter Erde. Und in diesem Lätt steckt viel Energie. Steckt eine Jahrtausende alte zyklische Weisheit. Im vom gleissenden Sonnenlicht erhellten Atelier der Keramikerin wird plötzlich alles fassbar. Sie lacht. «Ich bin einfach da und bin offen, dass geschehen kann, was geschehen soll.»

Text: Martin Schuppli, Fotos: Daniela Friedli

Keramikerin
Regula Kaeser-Bonanomi
Höheweg 5, 3110 Münsingen BE
Tel. +41 31 721 52 43

keramikerin@keramikerin.ch  |  www.keramikerin.ch

Seelenklang und Urne bauen – nächster Kurs

Ritualleitung gemeinsam mit Beatrice Neidhart, Musiktherapeutin und Improvisationsmusikerin
• Sa, 25. Feb. 2017: gemeinsames Ritual mit Ton und Tönen
• Sa, 8. April 2017: gemeinsames Ritual mit Ton und Tönen
Dazwischen zwei- bis viermal Urne bauen
Kursbeschrieb download herunterladen
• Jahreskreislauf bei Ursula Seghezzhi => Link