Grabmal: Zürich vermietet historische Plätze

In Zürich ist es möglich, sich zu Füssen eines handwerklichen Meisterstückes begraben zu lassen.

«Wer möchte, kann eine historische Ruhestätte mieten an schöner Lage und trägt dazu bei, wertvolle Zeitzeugen der Zürcher Stadtgeschichte und Friedhofskultur zu erhalten.»

Mit solchen Worten sucht die Limmatstadt Grabmal-Mieter. Derzeit sind gegen 700 kleinere und grössere Objekte zu haben. Zuständig für diese Grabmäler und ihre Vermietung ist Historikerin Raquel Delgado (Bild oben). Die gebürtige Spanierin aus San Sebastian erzählte DeinAdieu einiges über die Geschichte der Grabmäler in Zürich und sagt, dass sie sich vor dem Tod fürchte.

Das Grabmal ist eine wichtige Kulturdarstellung

Für den Tod als Thema in Philosophie und Geschichte interessierte ich mich schon lange. Als Wissenschaftshistorikerin beschäftigte ich mich intensiv mit den theologischen Werken von Isaac Newton und mit der Zeit der wissenschaftlichen Revolution.

Als Kunsthistorikerin betätigte ich mich erst in der Schweiz, als ich das Zürcher Friedhof- und Bestattungsamt bei einem Recherche- und Publikationsauftrag unterstützen konnte. Dabei entdeckte ich die vielen Wendungen in der Geschichte der Bestattungs- und Grabmalkultur in einer relativ kleinen, bürgerlichen Stadt wie Zürich.

Es waren aber nicht die Grabmäler, die mich zuerst faszinierten. Es war eher die gesellschaftliche Entwicklung, die unsere Grabmalkultur und deshalb auch die Grabmäler bestimmt hat. Diese kulturelle Entwicklung kann ich als Historikerin ziemlich gut in den Archiven verfolgen. So kam ich mit der Zeit der Grabmalkunst näher. Heute schätze ich das Grabmal als wichtige Kulturdarstellung.

Jede Migrationsgruppe hat eine eigene Grabmalkultur

Früher schufen viele Leute die Kunstwerke für die Gräber von Angehörigen selber oder liessen sie von Künstlern gestalten. Heute sind Gräber in unserem Kulturkreis kaum mehr ein Statussymbol. Deshalb lohnt es sich für Familien nicht, Geld zu investieren. Wenn jemand ein Kunstwerk erstellen lässt, möchte er es im Garten oder in der Stube.

Und doch gibt es eine Grabmalkultur. Es gibt sogar mehrere. Denn viele Migrationsgruppen bringen ihre eigene Kultur mit. Was typisch ist, hängt also damit zusammen, woher eine Familie kommt. Die Herkunft wurde einflussreicher, als die Glaubensrichtung. Es gibt bei uns typisch italienische und typisch orthodoxe Gräber. Daneben finden wir die typisch zürcherisch reformierten Gräber. Und dazu kommen zum Glück auch noch die Gräber mit traditionellen Bildhauereien.

Ein Grabmal soll nachhaltig sein

Zürich ist eine liberale, tolerante Stadt, die sehr grosszügig ist, auch in Bezug auf die Grabgestaltung und die Materialien der Grabmäler. Es gibt also nicht so viele No-Gos. Wichtig ist Folgendes: Ein Grabmal soll nachhaltig sein. Denn das Grab heben wir frühestens nach 20 Jahren auf. Das Grabmal soll also 20 Jahre Wind und Wetter aushalten. Es soll dabei weder kaputt gehen, noch immer schlechter aussehen. Gewisse Kunststoffe und Hölzer eignen sich also nicht für ein Grabmal. Kommt dazu, dass sich die Materialien, wenn immer möglich, in die Umgebung einfügen sollen.

Im Moment der Trauer ist es für gewisse Familien schwierig, über diesen Aspekt nachzudenken. Für sie geht es dann nur um den Verstorbenen. Später sind aber meistens alle froh, wenn das Grab nicht ins Auge sticht. Wenn es harmonisch zu den umliegenden Gräbern passt.

Bisher stellte noch niemand ein Gesuch, ein Grabmal mit einem GPS-Chip zu bestücken oder mit einem Quick Response Code zu versehen. Bei einem QR-Code müssten wir aufpassen. Denn alle Angaben über den Verstorbenen im Internet sollen respektvoll sein. Das zu kontrollieren ist aufwändig.

Zwingli verbannte alle Grabmäler

Es ist ein uraltes menschliches Handeln, Grabstätten zu kennzeichnen. Als einer der ältesten Bestattungsorte gilt die 60 000 Jahre alte Kebara-Höhle in Israel. Im Verlauf der Geschichte hat das Grabmal verschiedene sinnbildliche Bedeutungen angenommen. Vom Grenzstein des Lebens wird es durch die Säkularisierung, also durch die Verweltlichung, zum Erinnerungsträger. Mit der wechselnden Beziehung zum Tod ändert sich ebenfalls die Bedeutung des Grabes, und zwar kulturell wie auch regional.

Der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli verbannte im 16. Jahrhundert alle Grabmäler aus den reformierten Friedhöfen. Es waren weder Inschriften erlaubt, noch Blumen. Eigentliche Grabmäler erhielten nur die wichtigsten Persönlichkeiten. Das änderte 1845. Zu diesem Zeitpunkt lockerte der Stadtrat die Vorschriften und erlaubte einfach schmiedeeiserne Kreuze und kleine Kissensteine.

Im Jahre 1877 entstand vor den Stadttoren im Westen der so genannte «Centralfriedhof», heute Sihlfeld A genannt. Dort blühte die Grabmalkultur auf . Es entstanden eigentliche Statussymbole. Pompöse Grabdenkmäler. Heute stehen viele dieser Gräber unter Denkmalschutz und werden als Kunstobjekte betrachtet. Aber es sind immer noch Gräber. Und diese vermieten wir heute an interessierte Leute.

Louis Wethli, Zürichs erfolgreichster Grabmalgestalter

Es gab einige Firmen in Zürich die sich nach der Aufhebung des Verbotes auf Grabmäler spezialisierten. Zum Beispiel Louis Wethli und Emil Schneebeli. Aber auch andere Bildhauer, die Kunst im öffentlichen oder sakralen Raum schufen, erhielten Aufträge für Grabmäler. Louis Wethli war ein guter Entrepreneur, also Unternehmer. Einige seiner Grabmäler entdeckten Historiker vor Kurzem in Uruguays Hauptstadt auf dem Cementerio Británico de Montevideo.

Louis Wethli besass eine bedeutende Werkstatt in Zürich, mit italienischen Steinmetzen und guter Logistik. Er und seine Leute kannten den Geschmack der Zürcher. Gefragt waren damals naturalistische Darstellungen. Die vielen trauernden Figuren und architektonisch gestalteten Familiengräber auf Zürichs Friedhöfen stammen aus dieser Zeit. Das Leben und Werk Louis Wethlis ist nicht sehr gut erforscht. Ich würde auch nicht behaupten, dass seine Werke einzigartig sind. Erst nach den Grabmalreformen des 20. Jahrhunderts, die Gestaltungsfreiheit und Materialwahl so stark  einschränkten, wirkten diese Werke einzigartig. Aber, wie gesagt, Louis Wethli war ein geschickter Unternehmer. Gewisse Grabmäler liess er mehrmals anfertigen. Er exportierte ins Ausland, arbeitete mit grossen Mengen. Sein Atelier war mehr Fabrik als Kunstwerkstatt.

Mietgrab. Historikerin Raquel Delgado
Die Zürcher Grabmal-Expertin Raquel Delgado im Gespräch mit DeinAdieu-Autor Martin Schuppli vor einem Engelgrab des Zürcher Bildhauers Louis Wethli. (Foto: Bruno Torricelli)

Raquel Delgado: «Ich fürchte den Tod»

Im Interview beantwortet die Historikerin Fragen.

Frau Delgado, fürchten Sie den Tod?
Raquel Delgado: Ja, ich fürchte mich vor dem Tod. Obwohl das nicht dem Trend entspricht. Heute sagen alle, sie hätten keine Angst. Ich aber fürchte mich. Das heisst aber nicht, wir sollen nicht über ihn reden .

Ihr Kollege, der Bestatter und Totenmaskenbildner Christoph Stüssi sagt, die meisten Toten würden friedliche Gesichtszüge aufweisen. Also kann es nicht fürchterlich sein auf der anderen Seite des Styx*.
Natürlich kann man das so interpretieren. Aber vielleicht sind die Toten, die Verstorbenen einfach erleichtert, dass sie das Sterben hinter sich haben. Ich stelle mir vor, das Sterben sei so ähnlich wie die Geburt. Aber meiner Meinung nach kommt nach dem Sterben nichts. Das macht mein Leben und mein Sterben sicher schwieriger. Ich werde weiterleben in den Herzen, in den Erzählungen der Leute, die mich liebten. Das sind Erinnerungen. Mehr sehe ich nicht.

Erdbestattungen werden immer seltener, Urnengräber sind die Regel, Gemeinschaftsgräber im Trend und Asche-Ausbringungen in der Natur nichts Aussergewöhnliches mehr. Man kann die Asche in Feuerwerkskörper füllen oder kann aus ihr Diamanten pressen lassen. Da brauchts keine Grabmalkunst mehr. Ein Kulturverlust?
Jeder Verlust bedeutet auch einen Gewinn. Aber es ist klar, Viele Grabmäler gehen verloren, weil sie nicht für Erdbestattungsgräber geschaffen wurden . Ausgebildete Bildhauer kämpfen sich durch eine schwierige Zeit.

Heute importieren viele Familien Steine aus anderen Ländern. Sie transportieren schwerste Grabsteine mit dem Auto bis in die Schweiz, weil sie sich die Kosten einer Gestaltung bei uns nicht leisten können, nicht leisten wollen. Im schlechtesten Fall bestellen Angehörige die Grabsteine online. Davor warne ich. Im Internet gibt es viele unseriöse Firmen.

Wenn also ein Handwerk ausstirbt, und es sind gewisse Techniken im Grabmalbereich bereits ausgestorben, geht natürlich ein Kulturgut verloren. Für mich als Historikerin bedeutet das einen Kulturverlust. Die Entwicklung der Bestattungskultur verfolge ich mit Interesse und lasse mich überraschen. Dabei gilt es zu beachten, dass sich schlussendlich nicht so viel ändert, wie man manchmal denkt. Wie man befürchtet.

So beobachten wir, dass der Trend zum Gemeinschaftsgrab ein wenig stagniert. Denn viele Familien mit Migrationshintergrund wünschen sich eine Erdbestattung. Darum sagte ich den Bildhauern letzthin an einem Apéro: «Im Bereich Grabmal ist noch nicht alles verloren».

Friedhöfe sind Parks. Ihre Grünfläche wird gross und grösser. Wie soll man diese Zonen nutzen dürfen? Was ist möglich, ohne die Totenruhe zu stören?
Die so genannte Totenruhe empfinde ich als einen Begriff, der häufig unausgewogen verwendet wird. Wir können schliesslich nicht wissen, was Tote stört. Deshalb traue ich mich zu sagen, dass Tote nicht empfindlicher sind als Lebende. Was es braucht, ist Respekt sowie gesunden Menschenverstand. Zudem ist Toleranz nötig. Die Menschen sollten miteinander reden. Ich verstehe weder Leute, die im Friedhof nicht vom Velo steigen, noch habe ich Verständnis für Zeitgenossen, die sich darüber ärgern, weil wir Kulturveranstaltungen rund um das Thema Tod organisieren.

* In der Sage aus der griechischen Mythologie stellt der Fluss Styx die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich, dem Hades dar. Die Seelen der Toten werden von Charon, dem Fährmann, über den Fluss geschifft. Damit die Verstorbenen den Fährmann bezahlen konnten, wurde den Toten eine Münze, ein so genannter Obolus, unter die Zunge gelegt. Es heisst, dass Verstorbene, denen diese Münze nicht mitgegeben wurde, die Ewigkeit am Ufer des Flusses verbringen mussten.

Bearbeitung: Martin Schuppli | Foto: Bruno Torricelli

Lebensgrosser Engel auf dem Zürcher Friedhof Sihlfeld.
Lebensgrosser Engel in wallendem Gewand auf Fels mit spriessenden Pflanzen. Das Werk steht unter Denkmalschutz. Wer es 1880 erschaffen hat, ist unbekannt. Der Sockel von Daniele Trebucchi mit Inschriftenstäben aus Carrara-Marmor stammt aus dem Jahr 2016. (Foto: Stadt Zürich, zVg)

Ewige Ruhe zu Füssen eines Engels

Themen-Mietgrab Engel, Friedhof Sihlfeld A | Grabnummer 82 121

Mit dem Themen-Mietgrab «Engel» steht ein Gemeinschaftsgrab im denkmalgeschützten Friedhof Sihlfeld A zur Auswahl.
Das Grab ist geschmückt mit einem historischen Grabmal aus dem Jahr 1880. Im Preis von CHF 2800 (Auswärtige zahlen CHF 3250) ist Folgendes enthalten:
• Mietgebühr für 20 Jahre
• Anteil am obligatorischen Grabunterhalt für die gesamte Mietdauer
• Gravur des Namens auf dem Inschriftenstab.

Im gemieteten Grabplatz kann eine Urne bestattet werden. Die Mietdauer können Angehörige nach Ablauf verlängern. Möglich ist auch einen Grabplatz für den Partner, die Partnerin vorzeitig zu mieten.
Für Blumenschmuck, Kerzen und Gedenkzeichen steht eine Ablagefläche bereit.

Der Ort der Urnenbeisetzung ist nicht gekennzeichnet, das Grab ist mit Rasen bedeckt. Die gesamte Grabfläche zu Füssen des Engels wird an 26 Personen vermietet.

Informationen und Beratung gibts hier:
Friedhofverwaltung Sihlfeld, Tel. +41 44 412 06 40
Stadthaus, Gräberadministration, Tel. +41 44 412 31 81
Mail: graeberadministration@zuerich.ch

Andere Informationen zu Bestattungen und Friedhöfen und Zürich:
http://www.zuerich.ch

3 Antworten auf „Grabmal: Zürich vermietet historische Plätze“

Jacqueline Maresch sagt:

Zürich hat wunderschöne Friedhof-Parks, ein Rundgang durch die verschiedenen Anlagen lohnt sich
Es gibt auch ein Buch,über die Zürcher Friedhöfe

Christian Schlatter sagt:

Grabmalkultur ist gut … ein Augenschein auf dem Siehlfeldfriedhof ergab eine schockierende Kultur …. Die allermeisten Grabmalskulpturen sind Anti-christliche Freimaurer-Skulpturen voll mit Freimaurerischen Pyramiden-Symbolen und der Ägyptischen Sonnengöttin Isis…. Pfui Teufel …

Gabriella Malik sagt:

Nicht nur auf den Friedhöfen,auch in allen größeren Städten,Brücken Gerichtshäusern usw!

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