Was ist die Testierfähigkeit und was bedeutet sie?

Wer ein Testament verfassen oder als Erblasser einen Erbvertrag abschliessen möchte, muss testierfähig sein. Testierfähigkeit ist die Fähigkeit, erbrechtliche Handlungen gültig vorzunehmen. Dazu braucht es die Volljährigkeit und die Urteilsfähigkeit. Grundsätzlich wird die Testierfähigkeit vermutet.

Das Wichtigste in Kürze

  • Testierfähigkeit oder Verfügungsfähigkeit ist die Fähigkeit, ein Testament zu verfassen oder als Erblasser einen Erbvertrag abzuschliessen.
  • Die Testierfähigkeit hat zwei Voraussetzungen: Volljährigkeit und Urteilsfähigkeit.
  • Volljährigkeit bedeutet, dass eine Person das 18. Lebensjahr zurückgelegt hat.
  • Urteilsfähigkeit ist die Fähigkeit, Bedeutung und Konsequenzen einer bestimmten Handlung zu erkennen und entsprechend dieser Erkenntnis zu handeln. Sie ist relativ zum jeweiligen Rechtsgeschäft, d.h. Urteilsfähigkeit bedeutet, in Bezug auf das Testament oder den Erbvertrag vernunftgemäss handeln zu können.
  • Die Testierfähigkeit wird nach der allgemeinen Lebenserfahrung vermutet. Die Lebenserfahrung kann aber – etwa bei Personen mit einer Demenzerkrankung – auch zur umgekehrten Vermutung führen.

Testierfähigkeit, Verfügungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit

«Testierfähigkeit» bedeutet dasselbe wie «Verfügungsfähigkeit». Die beiden Begriffe sind austauschbar und werden in der Praxis auch so verwendet. Sie beschreiben die Fähigkeit, erbrechtliche Rechtsgeschäfte gültig zu tätigen, d.h. ein Testament zu verfassen oder als Erblasser einen Erbvertrag abzuschliessen. Die Testier- und Verfügungsfähigkeit sind eng verbunden mit der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit, d.h. der Fähigkeit, Rechtsgeschäfte unter Lebenden (wie etwa eine Schenkung oder auch einen Kaufvertrag) abzuschliessen.

Die Testierfähigkeit hat zwei Voraussetzungen: die Volljährigkeit und die Urteilsfähigkeit.

Volljährigkeit

Volljährigkeit bedeutet, dass eine Person das 18. Lebensjahr zurückgelegt hat. Die Verfügungsfähigkeit beginnt also grundsätzlich – wie die Handlungsfähigkeit – mit dem 18. Geburtstag.

Dieses Kriterium ist meistens unproblematisch. Minderjährige, also Kinder oder Jugendliche, müssen sich in den wenigsten Fällen mit ihrem Nachlass beschäftigen. Dies zum einen, weil sie häufig nur wenig eigenes Vermögen, das sie vererben könnten, und nur wenige Angehörige haben, die sie neben ihren Verwandten begünstigen wollen könnten. Zum anderen aber auch, weil sie in aller Regel hoffen dürfen, noch viele Jahre über ihren 18. Geburtstag hinaus zu leben.

Urteilsfähigkeit

Komplizierter ist das Kriterium der Urteilsfähigkeit. Die Urteilsfähigkeit ist die Grundlage für sämtliche Rechtshandlungen einer Person, also nicht nur Testamente und Erbverträge. Unter der Urteilsfähigkeit versteht man die Fähigkeit einer Person, Bedeutung und Konsequenzen einer bestimmten Handlung zu erkennen und entsprechend dieser Erkenntnis zu handeln.

Das ZGB umschreibt die Urteilsfähigkeit wie folgt: «Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln» (Art. 16 ZGB).

Da diese Formulierung immer noch sehr abstrakt ist, hat das Bundesgericht eine Interpretationsformel entwickelt. Diese kommt auch in den meisten Gerichtsurteilen vor, in denen es um die Urteilsfähigkeit geht: «Der Begriff der Urteilsfähigkeit enthält zwei Elemente: einerseits ein intellektuelles Element, nämlich die Fähigkeit, Sinn, Zweckmässigkeit und Wirkungen einer bestimmten Handlung zu erkennen, andererseits ein Willens- bzw. Charakterelement, nämlich die Fähigkeit, gemäss dieser vernünftigen Erkenntnis nach seinem freien Willen zu handeln. […] ».

Fehlt es entweder am intellektuellen Element oder am Willenselement, dann ist die betroffene Person nicht urteilsfähig. Sehen wir uns diese beiden Elemente nun genauer an.

Die intellektuelle Komponente

Das intellektuelle Element wird auch Verstandeskomponente genannt. Es handelt sich um die Fähigkeit, Bedeutung und Konsequenzen einer Rechtshandlung zu erkennen. Für einen durchschnittlichen Menschen ist dies in der Regel kein Problem, zumindest wenn man sie ihm verständlich erklärt. Es kann aber zum Problem werden, wenn diese Fähigkeit – etwa aufgrund einer Demenzerkrankung oder einer Gehirnschädigung nach einem Unfall – nicht mehr voll gegeben ist.

Beim Verfassen eines Testaments («testieren») bedeutet die intellektuelle Komponente konkret, dass die Erblasserin oder der Erblasser versteht, dass dieses Dokument den letzten Willen enthält, was nach dem Tod mit dem eigenen Vermögen geschehen soll. Zunächst gilt es daher zu verstehen, was überhaupt zum eigenen Vermögen gehört und daher vererbt werden kann. Zwar kann das Testament zu Lebzeiten jederzeit abgeändert werden, nach dem Tod jedoch nicht mehr. Was darin geschrieben steht («verfügt wird»), wird mit dem Tod und der gleichzeitigen Eröffnung des Erbgangs grundsätzlich verbindlich. Insofern haben die Anordnungen im Testament eine grosse Tragweite, was die Aufteilung der Erbschaft anbelangt.

Beim Erbvertrag kommt noch eine Komponente hinzu, die es zu beachten gilt: Es handelt sich um einen Vertrag, also ein Rechtsgeschäft unter zwei oder mehreren Parteien, das diese (auch) im Todesfall bindet. Mit anderen Worten kann es nicht einfach so widerrufen oder abgeändert werden. Dazu braucht es entweder die Zustimmung der Vertragspartner oder einen besonderen Grund, der die Anfechtung des Vertrags erlaubt. Beim Erbvertrag gelten also regelmässig noch höhere Anforderungen an die intellektuelle Komponente. Deshalb kann dieser – anders als das jederzeit abänderbare Testament – auch nur durch öffentliche Beurkundung errichtet werden.

Die voluntative Komponente

Hinzu kommt noch ein Willens- bzw. Charakterelement. Diese voluntative Komponente bedeutet die Fähigkeit, sich der oben beschriebenen Erkenntnis entsprechend zu verhalten. Es geht also nicht mehr um die Fähigkeit, etwas zu verstehen, sondern um die Willensbildung und -steuerung – also darum, sich basierend auf der Erkenntnis einen eigenen Willen zu bilden und diesen zu verfolgen. Mit diesem Kriterium soll sichergestellt werden, dass Verfügungen von Todes wegen dem inneren Willen der Erblasserin bzw. des Erblassers entsprechen, und dass dieser nicht mangelhaft ist oder durch Dritte manipuliert wurde.

Unter dem Willenselement ist etwa daran zu denken, dass vernunftgemässe Überlegungen erfolgen, wem welcher Anteil am Nachlass zukommen soll, oder allenfalls, welche Vermögenswerte einzelnen Personen zugewiesen werden sollen. Je besser jemand seine Verfügungen verteidigen – d.h. ihren oder seinen letzten Willen begründen, kann, umso eher ist davon auszugehen – dass die voluntative Komponente gegeben ist. Erscheinen die Begründungen hingegen wirr oder beziehen sie sich auf Annahmen, die gar nicht stimmen, so bestehen Zweifel daran. Am Ende dieses Artikels findet sich ein Beispiel zur Veranschaulichung.

Relativität der Urteilsfähigkeit

Die Interpretationsformel des Bundesgerichts ist damit aber noch nicht zu Ende; sie hat noch einen zweiten Teil: « […] Urteilsfähigkeit ist relativ: Sie ist nicht abstrakt zu beurteilen, sondern konkret bezogen auf eine bestimmte Handlung im Zeitpunkt ihrer Vornahme unter Berücksichtigung ihrer Rechtsnatur und Wichtigkeit.»

Urteilsfähigkeit bedeutet im Kontext der Testierfähigkeit also, dass die Erblasserin bzw. der Erblasser gerade in Bezug auf das zu verfassende Testament oder den abzuschliessenden Erbvertrag vernunftgemäss zu handeln vermag. An sich keine Rolle spielt dabei, ob der Inhalt selbst – aus Sicht einer Drittperson – vernünftig ist oder nicht. Schliesslich haben Menschen manchmal ihre ganz eigenen Beweggründe, die nur sie selbst verstehen.

Es ist möglich, dass jemand als urteilsfähig angesehen wird, um tägliche Geschäfte (Lebensmitteleinkauf, Coiffeurtermine etc.) zu erledigen, aber nicht mehr, um seinen – möglicherweise komplizierten – Nachlass zu regeln. Ebenfalls ist denkbar, dass die Urteilsfähigkeit im Hinblick auf ein einfaches Testament («Mein Sohn soll meinen gesamten Nachlass erhalten») gegeben ist, mit Bezug auf eine kompliziertere Verfügung (z.B. die Errichtung einer Stiftung) aber nicht mehr.

Im Erbrecht ist die Verwirklichung des Erblasserwillens ein zentrales Prinzip. Um diesem gerecht zu werden, prüft man deshalb auch, ob die Erblasserin oder der Erblasser nicht mindestens für einzelne Anordnungen urteilsfähig war, sofern diese selbstständig bestehen können. Im Falle einer Klage werden nur diejenigen Anordnungen für ungültig erklärt, bei denen keine Urteilsfähigkeit gegeben war.

Die Urteilsfähigkeit ist immer auf den Zeitpunkt zu beziehen, in dem das Testament oder der Erbvertrag verfasst wurde. Ob jemand davor oder danach urteilsunfähig war, spielt insofern keine Rolle. Deshalb ist es zum Beispiel möglich, dass eine Person, die an einer beginnenden Demenzerkrankung leidet, in klaren, geistig ungetrübten Perioden ein gültiges Testament errichten kann.

Beweisführung: Die Vermutung der Testierfähigkeit und ihre Widerlegung

Wie erwähnt, kann ein durchschnittlicher Mensch die Konsequenzen seines Handelns normalerweise erfassen und sich einen entsprechenden Willen bilden bzw. danach handeln. Die Urteilsfähigkeit (und somit auch die Testierfähigkeit) wird daher nach der allgemeinen Lebenserfahrung vermutet. Den Beweis dafür, dass die Testierfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht gegeben war, muss daher die Person erbringen, die dies behauptet.

Bei einer verstorbenen Person ist die Urteilsfähigkeit in der Vergangenheit oft schwer zu überprüfen. Darum genügt eine grosse Wahrscheinlichkeit, die ernsthafte Zweifel ausschliesst. Die Lebenserfahrung kann aber auch – etwa bei Personen mit einer diagnostizierten Demenzerkrankung oder einer intellektuellen Beeinträchtigung – zur umgekehrten Vermutung führen. Dann gilt, dass die Erblasserin bzw. der Erblasser im Normalfall, der allgemeinen Verfassung nach, als urteils- und testierunfähig gelten muss. Der Gegenpartei steht dann der Gegenbeweis offen, dass er oder sie in Wahrheit testierfähig gewesen sei.

Ein Anwendungsbeispiel

Sehen wir uns abschliessend zum besseren Verständnis ein Beispiel an:

Adam wohnte zuletzt in einem Pflegeheim und ist im 91. Lebensjahr verstorben. Er hinterlässt als Erben Berta und Claus. Bei ihm fand sich ein Testament mit folgendem Inhalt: „Aufgrund der neuesten Vorkommnisse setze ich Claus auf den Pflichtteil“. Claus erhebt nun die Ungültigkeitsklage gegen das Testament und behauptet, Adam sei nicht testierfähig gewesen, als er das Testament verfasst habe. Wer muss nun wie die Testier(un)fähigkeit von Claus beweisen?

Adam wurde 91 Jahre alt; damit ist er zum einen volljährig. Zum anderen ist im Erwachsenenalter grundsätzlich seine Urteilsfähigkeit zu vermuten. Daher gilt zunächst die Vermutung, dass er testierfähig war.

Jetzt obliegt es Claus, der die Urteilsunfähigkeit behauptet, zu beweisen, dass Adam eine geistige Behinderung, eine psychische Störung oder einen Rausch hatte oder in einem ähnlichen Zustand das Testament verfasst hat. Aufgrund des Alters von Adam kommt vor allem in Frage, dass er dement war. Gelingt Claus dieser Beweis, dann fällt die Vermutungsbasis dahin. Das bedeutet, die gesetzliche Vermutung, dass Adam urteilsfähig war und somit testieren konnte, besteht nicht mehr.

Selbst wenn Adam aber an Demenz litt, ist noch nicht bewiesen, dass er auch nicht testieren konnte. Es ist nämlich möglich, dass Berta beweisen kann, dass Adam trotz Demenz in der Lage war, die Folgen seines Handelns abzuschätzen, sich einen Willen zu bilden und dementsprechend zu testieren. Wenn Berta ein Vorkommnis beweisen kann, das es rechtfertigt, Claus auf den Pflichtteil zu setzen, kann das wieder eine tatsächliche Vermutung sein, dass Adam doch urteilsfähig war. Dann wäre es wieder an Claus, zu beweisen, dass trotz diesem Indiz nicht darauf zu schliessen ist, dass Adam ihn enterben wollte. 

Zum Beispiel: Eine Woche vor dem Datum des Testaments hatte Claus den Hund von Adam einschläfern lassen, weil er sich dauernd um den Hund kümmern musste und ihn lästig fand. Zeugenaussagen im Pflegeheim ergeben dann, dass sich Adam furchtbar darüber aufgeregt hat, dass man seinen lieben, gesunden Hund eingeschläfert hat. Dies könnte eine Möglichkeit sein, wie Berta beweisen kann, dass Adam trotz seiner Demenz urteils- und testierfähig war und den klaren Willen hatte, aus diesem Grund Claus auf den Pflichtteil zu setzen.

Weitere Beiträge zum Thema

Kommentar verfassen