Der Erbvertrag – mehr Gestaltungsfreiheit & Sicherheit

Der Erbvertrag ist neben dem Testament die zweite, weniger gebräuchliche Verfügungsform. Er hat einige Besonderheiten, mit denen in bestimmten Situationen mehr Gestaltungsfreiheit, aber auch mehr (Rechts-)Sicherheit für die Vertragsparteien geschaffen werden kann.

Was ist ein Erbvertrag? Wer kann ihn wie abschliessen?

Der Erbvertrag ist eine Mischung aus einem Rechtsgeschäft unter Lebenden und einer Verfügung von Todes wegen. Anders als das Testament (letztwillige Verfügung), ist der Erbvertrag immer ein mindestens zweiseitiges Rechtsgeschäft. Ein Erbvertrag kann nicht nur zwischen zwei, sondern auch unter mehreren Parteien abgeschlossen werden. Vertragspartner können grundsätzlich beliebige natürliche Personen sein. Ferner kann es sich auch um eine juristische Person, gewisse Personengruppen ohne Rechtspersönlichkeit oder um Gemeinwesen handeln. Alle Vertragsparteien müssen verfügungs- bzw. handlungsfähig sein. Das bedeutet, natürliche Personen müssen volljährig und urteilsfähig sein. Juristische Personen müssen vorschriftsgemäss konstituiert, d.h. es müssen die nach Gesetz und Statuten benötigten Organe gültig eingesetzt sein.

Neben dem Erblasser müssen auch die Vertragspartner – andere (zukünftige) Erblasser, Erbinnen oder Vermächtnisnehmer – den Vertrag unterzeichnen. Jede Person, die nicht von Todes wegen verfügt, darf sich dabei vertreten lassen. Zudem bedarf ein Erbvertrag immer der öffentlichen Beurkundung durch eine Urkundsperson nach kantonalem Recht in Gegenwart zweier Zeugen. Wird diese Form nicht eingehalten, ist der Erbvertrag mittels Ungültigkeitsklage anfechtbar oder sogar nichtig.

Aufgrund dieser Voraussetzungen bietet ein Erbvertrag grosse Rechtssicherheit für die Beteiligten. Dennoch empfiehlt er sich aufgrund des erforderlichen Aufwands und der anfallenden Kosten nur in komplexen Fällen. Auch dort, wo ein besonderer Zweck angestrebt wird, der mit einem (eigenhändigen) Testament nicht erreicht werden kann, scheint er sinnvoll. Ein Erbvertrag kann unbedingte Wirkung entfalten, aber auch an Auflagen und Bedingungen geknüpft werden. Er kann von den Vertragschliessenden jederzeit durch schriftliche Übereinkunft aufgehoben werden. Sind sich die Parteien einig, den Vertrag aufzuheben, müssen sie nicht erneut zum Notar gehen. Soll er hingegen abgeändert werden, gelten dieselben Formvorschriften wie für die Errichtung.

Welche Zwecke und Inhalte kann ein Erbvertrag haben?

Gemäss dem Grundsatz der Vertragsfreiheit können die Parteien innerhalb der gesetzlichen Schranken den Inhalt frei bestimmen. Der Inhalt des Erbvertrags darf aber nicht sittenwidrig, unmöglich oder willkürlich sein.

Den Erbvertrag gibt es in einer „positiven“ und einer „negativen“ Variante. Der positive Erbvertrag begründet ein erbrechtliches Verhältnis zwischen den Vertragsparteien, der negative Erbvertrag reduziert oder beseitigt es. Die Gestaltungsmöglichkeiten erweisen sich bei einem Erbvertrag weiter als bei einem Testament. Insbesondere ermöglicht er es, Pflichtteile zu unterschreiten oder gänzlich darauf zu verzichten.

Durch einen positiven Erbvertrag wendet der Erblasser jemandem etwas zu. Die Grundform des positiven Erbvertrags ist der Erbeinsetzungs- oder Erbzuwendungsvertrag. Er entfaltet dieselbe Wirkung wie eine testamentarische Einsetzung als Erbe. Der Erblasser macht also jemanden zum Erben, der von Gesetzes wegen keine Erbenstellung hätte. Im Unterschied zum Testament kann der Erblasser diese Einsetzung aber nicht ohne Weiteres widerrufen. Neben dem Erbvertrag gibt es auch einen Vermächtnisvertrag. Mit diesem verpflichtet sich die Erblasserin, den Vertragspartnerinnen ein Vermächtnis (Legat) auszurichten.

Ein negativer Erbvertrag hält das Einverständnis zwischen Erblasser und Erben fest, dass letztere auf ihren Anspruch am Erbe gänzlich oder teilweise verzichten. Die Verzichtserklärung kann entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen (Erbauskauf bzw. Erbverzicht im engeren Sinn). Ein Erbverzicht ist vor allem dort sinnvoll und erforderlich, wo gesetzliche Pflichtteile wegbedungen werden sollen. Nicht pflichtteilsgeschützte Ansprüche können auch durch eine einseitige Regelung des Erblassers in einer letztwilligen Verfügung (Testament) entzogen werden.

Wann ist ein Erbvertrag sinnvoll?

Der Erbverzicht ist ein wertvolles Instrument, um zu Lebzeiten Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit zu schaffen. Ein typisches Beispiel dafür ist der Erbauskauf einzelner Kinder aus dem Erbe ihrer Eltern. Hier kann es erforderlich sein, dass mehrere Kinder untereinander auf Ansprüche unterschiedlicher Natur verzichten. So entsteht ein mehrseitiger, mehrfacher, gemischter Erbzuwendungs- und Erbverzichtsvertrag. Ein solches Arrangement kann in einem einzigen Dokument festgehalten werden, sofern alle Parteien gleichzeitig im Rahmen des Beurkundungsverfahrens zustimmen.

Ein Beispiel zur Veranschaulichung:

Anna ist verwitwet und hat zwei Kinder, Benjamin und Clara. Sie möchte ihrem Sohn Benjamin ein Startkapital zur Verfügung stellen, damit er sich beruflich selbständig machen kann. Um spätere Differenzen mit Clara zu vermeiden, wollen die drei eine dauerhaft verbindliche Lösung finden.

Zunächst ist ein Erbauskauf zwischen Anna und Benjamin möglich. Die beiden können vereinbaren, dass Benjamin einen Geldbetrag erhält, und dafür auf seine Erbenstellung bei Annas Tod verzichtet.

Je nach Höhe des Auskaufbetrages im Verhältnis zu Annas übrigen Vermögenswerten ist es möglich, dass dieser, wenn er zu hoch ausfällt, den Pflichtteil von Clara verletzt. In diesem Fall könnte Clara nach Eröffnung des Erbgangs gegenüber ihrem Bruder die Herabsetzungsklage erheben. Um solche Konflikte zu verhindern, sollte auch Clara in den Erbvertrag einbezogen werden. Diesfalls würde Anna Clara durch einen Erbeinsetzungsvertrag als Alleinerbin einsetzen und Clara verbindlich darauf verzichten, Pflichtteilsansprüche gegenüber ihrem Bruder Benjamin geltend zu machen.

Damit herrscht bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Klarheit, wie der Erbgang aussehen wird: Benjamin verzichtet zu Lebzeiten gegen Entgelt auf seine Ansprüche im Erbgang und Clara wird Alleinerbin. Sie erhält also das gesamte Nachlassvermögen von Anna, kann aber keine Ansprüche gegen Benjamin geltend machen, sollte die Erbschaft dann geringer ausfallen als erwartet.

Aufhebung, Rücktritt und Durchsetzung erbvertraglicher Versprechen

Damit ein Erbvertrag seinen Zweck erfüllen kann, braucht es geeignete Instrumente zu seiner Durchsetzung. Das Erbrecht regelt die Erfüllung und Durchsetzung nur punktuell. Im Übrigen gelten die allgemeinen Regeln des Vertragsrechts, etwa über den Rücktritt, falls eine Leistung unter Lebenden nicht vertragsgemäss erbracht wird.

Der Erblasser kann einen Erbeinsetzungs- oder Vermächtnisvertrag einseitig aufheben, wenn sich der Erbe oder Bedachte nach dem Vertragsschluss eines Verhaltens schuldig macht, das einen Enterbungsgrund darstellt. Die Aufhebung muss einer der Formen für die Errichtung der letztwilligen Verfügungen genügen (öffentlich beurkundet, eigenhändig oder notfalls mündlich).

Auch nach dem Abschluss eines Erbvertrags gilt der Grundsatz der Verfügungsfreiheit. Das bedeutet, dass der Erblasser weiterhin frei über sein Vermögen verfügen kann. Allerdings sind Verfügungen, die mit den erbvertraglichen Verpflichtungen nicht vereinbar sind, für den Vertragspartner (sinngemäss) nach den Bestimmungen über die Herabsetzungsklage anfechtbar. Die gesetzliche Regelung darüber, welche Verfügungen als unvereinbar gelten, war lange unklar und führte zu erheblicher Verwirrung in Lehre und Rechtsprechung – und damit zu Rechtsunsicherheit. Diesem Problem schafft die Erbrechtsreform 2023 Abhilfe, indem sie die Rechtsgrundlage der Anfechtung (Art. 494 Abs. 3 ZGB) wie folgt umformuliert:

Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden, mit Ausnahme der üblichen Gelegenheitsgeschenke, unterliegen jedoch der Anfechtung, soweit sie:
1.  mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, namentlich wenn sie die erbvertraglichen Begünstigungen schmälern; und
2. im Erbvertrag nicht vorbehalten worden sind.

Anders ausgedrückt bedeutet diese Änderung, dass zukünftig alle Verfügungen (egal ob zu Lebzeiten oder von Todes wegen), die über Gelegenheitsgeschenke hinausgehen und nicht ausdrücklich im Erbvertrag vorbehalten wurden, anfechtbar werden. Diese Revision klärt und stärkt die Stellung der Vertragspartner beim Erbvertrag. Ein solcher muss künftig wohlüberlegt verfasst werden, um späteren Unvereinbarkeiten und ungewollten Anfechtungen vorzubeugen. Eine Schlüsselrolle wird in diesem Zusammenhang den Notarinnen und Fachanwälten zukommen, die sich der Beratung in Sachen Vermögens- und Nachlassplanung widmen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Erbvertrag ist ein zwei- oder mehrseitiges Rechtsgeschäft unter Lebenden mit Wirkungen auf den Todesfall. Er bedarf stets der öffentlichen Beurkundung im Beisein von zwei Zeugen.
  • Mit einem (positiven) Erbeinsetzungs- oder Erbzuwendungsvertrag ist es möglich, jemanden als Erben einzusetzen. Mit dem Vermächtnisvertrag kann ein Legat ausgerichtet werden. Mit einem (negativen) Erbverzichts- oder Erbauskaufvertrag können erbrechtliche Ansprüche (un-)entgeltlich wegbedungen werden.
  • Ein typischer Anwendungsfall des Erbvertrags ist der Erbauskauf von einzelnen Kindern. Ein solches Vorgehen hilft, individuellen Bedürfnissen entgegenzukommen und frühzeitig Klarheit über die erbrechtlichen Angelegenheiten zu schaffen.
  • Kommt eine Partei ihren erbvertraglichen Pflichten nicht nach, gibt es in gewissen Fällen Rücktrittsmöglichkeiten. Erhält ein Vertragserbe im Erbgang nicht die versprochenen Leistungen, kann er mit dem Erbvertrag unvereinbare Zuwendungen anfechten.

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