Friedhöfe: Zürichs Grünflächen werden grösser

In der Stadt Zürich äussern gegen 90 Prozent aller Verstorbenen den Wunsch, kremiert zu werden. Es gibt verschiedenste Arten von Urnen- und Gemeinschaftsgräber. Eine neue Friedhofskultur entsteht. Die Parkflächen wachsen.

Herr Steinmann: Was passiert mit den immer grösser werdenden freien Friedhofsflächen? Wie sieht Ihr Friedhofspark der Zukunft aus?
Rolf Steinmann. Leiter Bestattungs- und Friedhofamt der Stadt Zürich:
Auf diese Frage ist keine allgemeingültige Antwort möglich. Jeder Friedhof hat seine Geschichte, seinen Standort, seine Grösse. Ein Kirchhof, wie wir ihn in Witikon haben, ist etwas ganz Anderes als unsere grösseren Friedhöfe. Im Kirchhof Witikon joggt niemand, dort fährt keiner mit dem Fahrrad durch.

Ganz anders der Friedhof Sihlfeld.
Ja. Er ist Zürichs grösste zusammenhängende Grünfläche. So gross wie rund 40 Fussballfelder. Da entstehen ganz andere, neue Bedürfnisse.

Sie schauen das also situativ an.
Der Friedhof ist und bleibt immer ein besonderer Ort. Friedhofsnahe Nutzungen müssen wir genau prüfen. Regelmässigen Lärm darf es nicht geben.

Also kein Beach-Volleyballfeld?
Sicher nicht.

Dafür Konzerte oder ähnliche kulturelle Veranstaltungen?
Sie sind durchaus denkbar. Wir gehen mit den Bewilligungen, mit den Ideen sehr sensibel um. Es gilt Werte und Normen der Gesellschaft zu berücksichtigen. Die sind im ständigen Wandel. Und diesen Wandel müssen wir wahrnehmen und darauf reagieren.

Sie wollen die Friedhöfe in Zukunft sanft nutzen?
Ja. Wir machen uns Gedanken darüber, etwa für kulturelle Anlässe. Wir machen Führungen. Die Bevölkerung soll Spaziergänge machen, soll sich erholen können.

Das betrifft auch den Umgang mit Hunden?
Er veränderte sich in Lauf der Jahre. In Luzern beispielsweise sind Hunde an der Leine erlaubt. In Bern braucht jemand eine Bewilligung, will er, will sie einen Hund mit auf den Friedhof nehmen. Und in Basel ist das Mitführen von Hunden ganz klar verboten. Wie hier in Zürich.

Hundeverbot. Bilbo bleibt vor dem Friedhof
Parkordnungen sind föderalistisch: In Luzern und Bern darf Bilbo angeleint auf die Friedhöfe. In Basel und Zürich gilt «Hunde verboten». Und so wartet Bilbo brav auf seine Hundesitterin. (Bild: Bruno Torricelli)

Dann sind Hunde auf Zürichs Friedhöfen kein Thema?
Darüber lohnt sich nachzudenken. Allerdings braucht so ein Veränderungsprozess Zeit. Ich finde das Luzerner Modell, Hunde an der Leine sind erlaubt, würde für Zürich passen. Bewilligungen auszustellen wäre mir dann doch ein zu grosser Verwaltungsaufwand.

Sie sind kein Hündeler?
Nein, aber ich merke, dass viele Menschen eine soziale Beziehung zu Hunden haben. Oft ist er dem Menschen gleichgesetzt. Mittlerweile haben Haustiere einen gesellschaftlich höheren Stellenwert als früher. Der Hund ist kein Nutztier mehr. Er wurde zum treuen, zum geschätzten Begleiter des Menschen.

Was sagen Sie zu den neuen Bedürfnissen, die Verstorbenen zur «letzten Ruhe» zu betten. Ich meine Baumbestattung, Asche verstreuen etc.?
Dafür bin ich offen. Jeder Betroffene muss das für sich entscheiden. In der Trauer gibts kein Richtig oder Falsch. Für mich ist es in Ordnung, wenn jemand seine Asche verstreut haben will.

Was meinen Sie zum Trend, Bestattung in niedriger Tiefe zu ermöglichen, um dadurch eine rasche Verwesung zu fördern?
Bei uns in der Stadt Zürich ist das rechtlich geregelt: Grundsätzlich muss der Sarg in einer mindestens 120 cm tiefen Grab liegen, eine Urne in 60 cm Tiefe.

In Zürich regelt das Friedhofsamt die Grabtiefen mit folgenden organisatorischen Abläufen: Frische Gräber, also Gräber auf einem noch nie benutzten Grabfeld kommen ca. 200 cm tief zu liegen. Werden sie aufgehoben, frühestens nach 20 Jahren, ruht das Grabfeld nochmals rund zehn Jahre. Danach werden die nächsten Gräber darüber gelegt. Und zwar in ca. 160 cm Tiefe. Rund 35 Jahre später wird die dritte und letzte Bestattung in 120 cm Tiefe vorgenommen. Dann liegen drei Gräber übereinander.

Die Stadt bestattet in Schichten.
Genau. Die Grabesruhe dauert also mindestens 20 Jahre für die letzte Bestattung auf einem Grabfeld. So ein Grabfeld umfasst zwischen 100 und 300 Gräber.

Bearbeiten Sie die Bodenqualität?
Wenn nötig, baggern wir lehmige Böden aus, machen eine Drainage, führen Wasser ab, bringen Kies ein. Dann garantiert der zirkulierende Sauerstoff eine optimale Verwesung.

Wie und wo soll der Mensch um einen Verstorbenen trauern?
Trauer ist individuell. Da gibt’s für mich weder ein wie noch ein wo. Weder ein richtig noch ein falsch. Wer Hilfe braucht, findet für die Trauerverarbeitung Spezialisten. Die können wertvolle Hilfe leisten.

Lebensgrosser Engel auf dem Zürcher Friedhof Sihlfeld.
Lebensgrosser Engel in wallendem Gewand auf Fels mit spriessenden Pflanzen. Das Werk steht unter Denkmalschutz. Wer es 1880 erschaffen hat, ist unbekannt. Der Sockel von Daniele Trebucchi mit Inschriftenstäben aus Carrara-Marmor stammt aus dem Jahr 2016.
Foto: Stadt Zürich, zVg

Die Trauer verläuft in Phasen.
Die Trauerphasen werden ganz unterschiedlich durchlaufen. Es treten Gefühle wie tiefe Betroffenheit, sogar Wurt auf. Trauer kann den Menschen aber auch lethargisch machen, oder ihn resignieren lassen. Jede Person reagiert unterschiedlich, jede Situation ist anders. Es kommt darauf an, wie und unter welchen Umständen jemand verstorben ist. In welchem Alter. Ob nach langer Krankheit oder jäh durch einen Unfall, ein Delikt.

Es gibt also kein Richtig oder Falsch?
Jeder soll sich soviel Zeit nehmen, wie er braucht. Rituale können hilfreich sein, wie z. B. in der katholischen Kirche. Nach der Beerdigung gibts den Dreissigsten. Danach das Jahrzeit. So gedenkt man übers ganze Jahr verteilt dem Verstorbenen. Das finde ich schön.

Wann soll jemand Hilfe holen?
Wenn die Trauer nach einiger Zeit immer noch körperliche oder seelische Schmerzen auslöst, dann braucht jemand meiner Meinung nach Hilfe. Dann soll man sich helfen lassen.

Kann das nicht loslassen auch ein schönes Zeichen sein?
Ja, es kann beispielsweise auf eine tiefe Beziehung hindeuten. Wie gesagt, in der Trauerverarbeitung gibt es für mich kein Richtig oder Falsch.

Welche Bedeutung hat die Trauerfeier?
Sie gibt Trost. In der Gemeinschaft finden Trauernde Halt. Man kann darüber reden. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Heutzutage sind Bestattungen im engsten Familienkreis gang und gäbe. Warum?
Bleibts bei einer kleinen Abdankung, bei einer Beerdigung im engsten Familienkreis, finde ich das sehr schade. Mir hilft es zu spüren, dass ich nicht alleine bin mit meiner Trauer.

Warum?
Ich habe das Gefühl, die Beisetzung am Grab im gemeinsamen Rahmen macht Sinn. Es sind gemeinsame emotionale Momente, die Verbinden und unterstützen. Und genau das haben wir verlernt zu zeigen.

Rolf Steinmann, Leiter Bestattungs- und Friedhofamt der Stadt Zürich
Rolf Steinmann, Leiter Bestattungs- und Friedhofamt der Stadt Zürich beim Grab von Gottfried Keller auf dem Friedhof Sihlfeld. (Foto: Bruno Torricelli)

Ein Mann weint nicht.
Ja. Er zeigt keine Emotionen in der Öffentlichkeit. Zurückhaltung ist angesagt. Dabei können sich Trauernde gerade in schwierigen Zeiten stützen, können sich gegenseitig trösten. Sie können zusammen trauern. Ich finde das Weinen ist natürlich, es ist authentisch.

Ist es in Zürich möglich, die Urne/Asche eines verstorbenen Haustieres mit ins Grab zu bekommen?
Das ist möglich – nach Absprache mit dem Friedhofsamt. Allerdings erscheint der Tiername nicht auf den Grabstein.

Müssen Sie oft Sonderwünsche behandeln?
Was ist schon ein Sonderwunsch? Etwa eine Bestattung, die drei Stunden dauert? Oder das Harley Davidson-Motorrad in der Abdankungshalle wenn Mitglied der Hells Angeles begraben wird? Sind Elektrogitarrenklänge an einer Abdankungsfeier etwas Besonderes? In Zürich ist vieles möglich. Schliesslich sind wir Dienstleister und nutzen den gesetzlich vorgegebenen Spielraum aus. Wenn immer möglich, erfüllen wir also Sonderwünsche.

Vieles, das sich um Tod und Sterben dreht, ist irreal, ist weit weg. Wie gehen Sie mit unsichtbaren Begriffen um wie Totenruhe und Leichenschändung?
Der «Umgang» mit der Totenruhe ist im Gesetz festgehalten. Ihr tragen wir Sorge, leben den Sinn des Gesetzes nach.

Dann gibt es selten Exhuminierungen?
Wenn beispielsweise Angehörige einen Verstorbenen, eine Verstorbene ins Heimatland überführen möchten, ist eine Exhumierung denkbar. Das ist erst möglich, wenn die Grabesruhe abgelaufen ist. Also nach mehr als 20 Jahren. Manchmal führen wir Verstorbene in einem Familiengrab zusammen. Das kommt vor, wenn die Trauer nie verarbeitet werden konnte. Dann hilft so eine Handlung dem Trauerprozess.

Wie viele «Externe», also Leute die ausserhalb von Zürich wohnen, liegen auf Zürcher Friedhöfen?
Es gibt Verstorbene in Familiengräbern oder in Gemeinschaftsgräbern. Etwa im Ehrengrab der Anatomie. Es liegt am Waldrand beim Krematorium Nordheim. Dort werden die Urnen von Personen beigesetzt, die ihren Körper nach dem Tod dem Anatomischen Institut der Universität Zürich zu Forschungszwecken oder zu Ausbildungszwecken zur Verfügung gestellt haben. Nach Abschluss der Untersuchungen wird der Körper eingeäschert und auf Wunsch im Ehrengrab der Anatomie beigesetzt. Im Gemeinschaftsgrab für die ganz Kleinen werden nicht-meldepflichtige und meldepflichtige Totgeburten oder kurz nach der Geburt verstorbene Kinder beigesetzt. Neben der Urnenbeisetzung können auch totgeborene Kinder bis zu 25 cm Grösse erdbestattet werden.

Wie lange wird es noch Erdbestattung geben?
Ich bin überzeugt, dass es immer Erdbestattungen geben wird. Vielleicht nehmen sie sogar wieder einmal zu, wenn die Zeiten sich ändern. Wenn etwa Erdbestattungen ökologisch mehr Sinn machen als Kremationen. Muslime werden grundsätzlich in der Erde bestatten, jüdische Mitbürger, Mitbürgerinnen ebenfalls.

Rolf Steinmann, Leiter Bestattungs- und Friedhofamt der Stadt Zürich
Auch zu Spässen aufgelegt: Rolf Steinmann, Leiter Bestattungs- und Friedhofamt der Stadt Zürich im Friedhof Sihlfeld. (Foto: Bruno Torricelli)

Rolf Steinmann, was für einen Stellenwert hat der Tod, hat das Sterben in Ihrem Leben?
Schaue ich zurück auf mein Arbeitsleben, änderte sich die Gewichtung. Der Tod, das Sterben erhielt einen grossen Stellenwert durch die Arbeit hier auf dem Friedhofsamt. Ich betrachte es als eine Bereicherung.

Wie meinen Sie das?
Tagtäglich wird mir bewusst, dass das Leben endlich ist. Es hat seinen Wert. Ich finde, wir sollten es geniessen und schätzen. Mir hilft es, dankbar zu sein. Ich gehe vorsichtig um mit meinem Leben. Überlege mir das Risiko. Weil der Tod, weil das Sterben, zum Leben gehört, weil es also endlich ist, soll man den Moment sinnvoll nutzen und geniessen.

Was glauben Sie, passiert nach dem Tod?
Wissen tue ich es nicht. Ich stelle mir aber folgendes vor: Ich bin geboren, kam aus dem Mutterleib, machte meine ersten Atemzüge. Ich kam also in eine andere Sphäre. Die Geburt kam einem Übertritt gleich. So stelle ich mir das auch mit dem Sterben, mit dem Tod vor. Der Mensch kommt in eine andere Sphäre. Es ist erneut ein Übertritt, ein Übergang.

Wie reagiert Ihr Umfeld, Ihre Familie auf Ihren Job als Leiter des Friedhofamtes?
Das ist kein Problem. Ich finde, es ist wertvoll, dass meine Kinder mit dem Thema Tod aufwachsen. Logisch, dass wir öfter darüber reden als andere Familien. Die Kinder haben einen guten Umgang mit den Themen Tod, Sterben. Sie nahmen schon an Kremationsführung teil, gehen unbeschwert damit um.

Interview: Martin Schuppli | Foto: Bruno Torricelli

Stadt Zürich
Bestattungs- und Friedhofamt
Stadthausquai 17
Stadthaus, 8001 Zürich
Tel. +41 44 412 31 78 | Fax +41 44 212 06 90

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2 Antworten auf „Friedhöfe: Zürichs Grünflächen werden grösser“

Stefan Keller sagt:

Was ist denn das für ein Schleimi!

DeinAdieu sagt:

Was meinen Sie da genau, sehr geehrter Herr Keller. Schleimi? Rolf Steinmann, Leiter Bestattungs- und Friedhofamt der Stadt Zürich, beantwortet die Fragen von Martin Schuppli, Journalist BR zum Umgang mit den immer grösser werdenden freien Friedhofsflächen.

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