Maltherapie: «Mit Farben ausdrücken, was der Mund nicht formen kann»

Brigitta Pfister bietet Maltherapie an. Mit dieser Art Kurse hilft die fröhliche Künstlerin, Trauernden mit ihrem Schmerz fertig zu werden. Und demenzkranken Menschen bringt sie mit ihrem mobilen Atelier Farbe in den Alltag.

Es ist eine farbige, eine fröhliche Welt am Dorfrand von Dachsleren, einem Weiler der Gemeinde Schleinikon am Lägeren-Nordhang im zürcherischen Unterland. Die Sonne bescheint farbenfrohe Installationen aus getöpferten Objekten. Das ist die Welt von Brigitta Pfister. Die Künstlerin bietet Malkurse an in ihrem Atelier oder zu Hause bei Kundinnen, Kunden.

In der Regel möchten die Teilnehmenden an diesen Kursen etwas verarbeiten. Das kann Stress sein, Trauer, Wut oder Frust. Oder sie sind gwundrig und wollen etwas Neues entdecken, entwickeln. Wollen wieder einmal etwas mit der Hand gestalten und es bildlich darstellen.

Auf ihrer Webseite schreibt Brigitta Pfister: «In der malerischen Trauerverarbeitung können die Trauernden mit Farben ausdrücken, was der Mund nicht formen kann.»

Die Künstlerin meint damit Folgendes: «In der Trauer beispielsweise können bei Betroffenen oder Hinterbliebenen starke Belastungen entstehen. Gefühle sind da, vielleicht eine Wut, ein Chaos, es entstehen Ängste. Mutlosigkeit macht sich breit oder eine Krise beginnt. Das alles kann passieren, weil der Betroffene, die Betroffene weiss, dass ein geliebter Mensch gehen musste, demnächst gehen muss. Da kann der Wunsch aufkommen, das Erlebte in einem Bild darzustellen.»

Intensives Werk. Ein fröhliches Bild, das Brigitta Pfister im Gedenken an Polo Hofer gemalt hat. (Foto: Peter Lauth)
Intensives Werk. Ein fröhliches Bild, das Brigitta Pfister im Gedenken an Polo Hofer gemalt hat. (Foto: Peter Lauth)

Maltherapie: In der Trauer die Krise wegmalen

Andere Teilnehmende würden eine starke Überforderung im Beruf oder in der Familie erleben, sagt Brigitta Pfister: «Kein Wunder, wir sind in der heutigen Zeit so kontrolliert. Sind grosser, starker Hektik und viel Stress ausgeliefert. Betroffene fühlen sich ausgelaugt, stehen kurz vor dem Ausbrennen oder sind schon mitten drin im Burnout.»

Fehlen einem in solchen Lebensabschnitten die Worte, kann malen helfen. Brigitta Pfister: «Dank dem Umgang mit Farben und Formen gehen die Kräfte in uns auf eine Fantasiereise. Es entstehen Bilder, weil beim Malen eine Auseinandersetzung zwischen dem Sichtbaren und dem Untergründigen stattfinden kann.»

Jacqueline, die heutige Kursteilnehmerin, ist alleine da. Sie kommt, wie die meisten, alleine. «Ich habe das Gefühl, dass jeder viel von sich gibt und deshalb lieber allein sein möchte», sagt Brigitta Pfister. Im Atelier unter dem Dach hängen dutzende Bilder. Wer hier kreativ sein möchte, wählt aus unzähligen Farbstiften, Kreiden, Farbtöpfen die passenden Materialien aus.

Maltherapie: Ganz schön bissig: Irgendwann waren es Fische, die im Malatelier von Brigitta Pfister ihren Platz fanden auf den Bildern von Jacqueline. (Foto: Peter Lauth)
Ganz schön bissig: Irgendwann waren es Fische, die im Malatelier von Brigitta Pfister ihren Platz fanden auf den Bildern von Jacqueline. (Foto: Peter Lauth)

In der Maltherapie einen Ausgleich finden

Brigitta Pfister und Jacqueline lachen. «Einfach etwas geschehen lassen», sagt die Therapeutin. «Hier in meinem Atelier werden Farben und Formen sichtbar. Wer sich drauf einlässt, kann etwas ausprobieren und verändern. Kann Neues entdecken. Kann Wertvolles darstellen. Es ist ein Genuss, und die Freude an noch nicht Entdecktem wächst.»

Jacqueline nickt. Sie kommt regelmässig ins Atelier. Für sie ist das Malen der optimale Ausgleich zum stressigen Job in einem Callcenter. Brigitta Pfister erklärt das folgendermassen: «Beim freien Malen richten wir uns nach innen, malen nach Gefühl. So kommen wir zu uns selber, erfahren Ruhe und Entspannung. Ich empfehle den Teilnehmenden: ‹Einfach geschehen lassen und erleben.› Da kommt es vor, dass jemand ins Malen kommt und, ohne Ideen, nichts anderes plant, als etwas zu Malen mit der Lieblingsfarbe auf dem Lieblingsmaterial. Etwa auf Papier, Karton, Leinwand, Holz etc. Das geschieht dann ganz im Stillen», sagt Brigitta Pfister. «Sie können loslassen. Bei mir geschieht in solchen Momenten etwas, und jeder ist verblüfft, was entstehen kann.»

Maltherapie: Farben stimmen fröhlich. Brigitta Pfister steckt einen an mit ihrem herzlichen Lachen. (Foto: Peter Lauth)
Farben stimmen fröhlich. Brigitta Pfister steckt einen an mit ihrem herzlichen Lachen. (Foto: Peter Lauth)

Im Malatelier intensive Schwingungen erleben

In der Regel leitet Brigitta Pfister die Malstunde ein mit Musik oder mit Klängen, die einen bestimmte Schwingungen erleben lassen. Die werden intensiver, wenn die Augen verbunden sind. «Oft setzte ich Klangschalen ein oder schlage Trommeln. Wer zuhört, geht dem Takt nach. Der Einstieg in eine Malstunde kann ebenso ein Gedicht sein. Im Herbst zum Beispiel folgendes.»

Laub am Boden

Laub am Boden, Laub am Boden,

gelb und rot und braun,

Dorn und Hagebutt am Strauche,

leere Nester im Zaun!

Sommerende … Spätoktober …

und ich glaub es nun doch,

dass wir längst Abschied genommen,

eh Dezember es noch!

Sturm am Himmel … Schneegestöber …

Frost im Herzen und Hohn!

Wie so schön es einst gewesen,

o, du bereust’s ja schon!

Laub am Boden, Laub am Boden,

gelb und rot und braun …

und der nächste Windstoss kehrt es

lachend hinter den Zaun!

Cäsar Flaischlen

Maltherapie: Das Huhn. Brigitta Pfister mag dickbauchiges Federvieh, Kugelfische und anderes Getier. (Foto: Peter Lauth)
Das Huhn. Brigitta Pfister mag dickbauchiges Federvieh, Kugelfische und anderes Getier. (Foto: Peter Lauth)

Malen – eine Entdeckungsreise

Es sind also sehr viele Kleinigkeiten, die einen Entstehungsprozess beschleunigen. Wer durch so einen Prozess in die schöpferische Tätigkeit findet, entdeckt einen Zugang zu den inneren Bildern.

Frau Pfister: Welchen Farben, also Acryl, Gouache, Öl, Aquarell, Pastellkreiden etc. benutzen die Leute am liebsten?
Brigitta Pfister: Am ehesten Acryl – vielleicht, weil sie damit sehr vielschichtig malen können. Ebenfalls erlebe ich in letzter Zeit, dass Gouache und Kreide beliebt sind.

Wer nimmt ihre Dienste in Anspruch?
(Lacht.) Alle. Von Müttern mit dreijährigen Kindern bis zu 80-jährigen Frauen und Männern.

Gemalt wird immer im Atelier?
Meistens schon. Allerdings malten wir ebenso im Garten unter den Bäumen, unter freiem Himmel.

Luftiges Blau. Diese beiden Bilder gehören zu ihren Lieblingen. «Wollte sie jemand kaufen, könnte ich mich schon trennen», sagt Brigitta Pfister. (Foto: Peter Lauth)
Luftiges Blau. Diese beiden Bilder gehören zu ihren Lieblingen. «Wollte sie jemand kaufen, könnte ich mich schon trennen», sagt Brigitta Pfister. (Foto: Peter Lauth)

Manchmal packt Brigitta Pfister die Kurs-Utensilien in ihr Auto und fährt zu Kundinnen, Kunden. Dann ist mobiles Malen angesagt. In diesen Tagen besucht sie regelmässig einen Mann, der an Demenz leidet und von seiner Frau liebevoll gepflegt wird. «Es ist immer schön für mich, wenn ich sehe, wie er sich freut über mein Kommen. Und wenn seine Frau mir erzählt, er habe meinen Namen gekannt, als sie ihm am Morgen erzählt habe, dass die Maltherapeutin komme.»

Demenzkranke lieben Rituale. Deshalb singt Brigitta Pfister mit ihm jedes Mal ein Lied aus seiner alten Heimat. Die ersten zwei Strophen kennt er noch immer auswendig. «Das ist ein Ritual in unserer gemeinsamen Malstunde geworden», sagt Brigitta Pfister. «Dann legen wir los. Je nach Tagesverfassung und Stimmung wählt der demente Herr, was und womit er malen möchte, oder er wird von mir angeleitet und motiviert. Manchmal erinnert er sich beim Malen an frühere Reisen und erzählt davon. Er liebt freie Formen. Mit mir kann er einfach drauflos malen und Farben mischen. Ab und zu bittet er um Hilfe bei der Auswahl. Er mag Farbstifte, Neocolor-Kreiden, Wasserfarben und Filzstifte. Gern arbeitet er mit der Schere. Dann stellt er Collagen her.»

Zufriedenheit trotz Erinnerungslücken

«Die Ehefrau des Demenzpatienten weiss, dass ihr Mann sich am Malen und meinen Besuchen freut. Seine Frau sagt: ‹Wenn Besucher zu uns nach Hause kommen, zeigt er stolz seine Bilder und freut sich über Komplimente›». Er sei jeweils konzentriert in der Malstunde und zufrieden mit sich, dass er etwas Kreatives machen kann, auch wenn er anschliessend müde sei. Und auch wenn er sich manchmal nicht mehr an die Besuche der Maltherapeutin erinnert, kann sie ihm doch etwas Farbe und Abwechslung in seinen Alltag zu Hause bringen.

Das Malen mit Kursteilnehmenden macht Brigitta Pfister grosse Freude: «Da passiert immer wieder Unerwartetes. Etwa, wenn in den Bildern Strukturen, ja Gebilde entstehen. Das geschieht oft ganz überraschend. Es sind für mich eigentliche Verblüffungsmomente. Und die geben mir Mumm für mein Leben.»

Bearbeitung: Andrea M. Castoro, Fotos: Peter Lauth

Brigitta Pfister
Lägerenstrasse 14
8165 Schleinikon ZH

Tel. 044 875 05 40
b.pfister@sesamnet.chwww.brigittapfister.ch

Eine Antwort auf „Maltherapie: «Mit Farben ausdrücken, was der Mund nicht formen kann»“

Christine Friedli Koch sagt:

Eine Maltherapie ist ideal für trauernde Eltern. Das bringt die verwaisten Mami‘s & Papi‘s einen grossen Schritt weiter in ihrer Trauerarbeit.
Ich ging ins LOM (Lösungsorientiertes malen) und war erstaunt wie gut es tat.

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