Flirt mit dem Tod

Der Tod. Er ist um uns, wo wir hinschauen. Wir reden nicht über ihn, ignorieren ihn, fürchten uns. Nicht so DeinAdieu-Autor Martin Schuppli. Er setzt sich täglich mit dem Lebensende auseinander.

Einige Meter oberhalb Walenstadt hängt ein A4-Blatt an einem einfachen Holzstecken. Handgeschriebene Worte verkünden den Tod von Bart Kankovski. Er verstarb am 23. August 2018.

An diesem Donnerstag wars strahlend heiss. Kaum eine Wolke zeigte sich über den Churfirsten. Die Thermik produzierte die bei «Fliegern» beliebten Aufwinde. Bei den Kitesurfern im Seez-Delta am Ostufer des Walensees blähte der Westwind die Segel.

Oben auf dem Hinterrugg, auf 2306 m ü.M., machte sich kurz nach 14 Uhr der Pole Bartek Kankovski, bereit, als Letzter von drei Springern vom Absprungplatz «Fatal Attraction» zum 3. Wingsuit-Fly an diesem Tag zu starten. Der polnische Modellathlet hatte in zehn Jahren über 1000 Skydiving-Absprünge absolviert, sowie zwischen 1200 und 1500 Basejumps. Er diente lange Jahre in der polnischen Fallschirmspringer-Elitetruppe. Kämpfte in Afghanistan. Bart, so nannten sie ihn, galt in der Szene als Held. Unzählige seiner spektakulären Wingsuitflüge sind auf Youtube verewigt.

Screenshot von Bart Kankovski
Bart Kankovski war ein strahlender Basejumper, Wingsuit-Flieger und Fallschirmspringer. (Screenshot).

Und … Sprung!

Es sei gegen 14.15 Uhr gewesen, als der Pilot nach wenigen Sekunden einen Flugfehler gemacht haben muss – bei Tempo 200 km/h. Er verstarb nach einem so genannten Hochgeschwindigkeitsaufprall.

Der Heli kreiste lange über unserer Schreibterrasse. Ich schaute hoch in die Felsen des mächtigen Berges und wusste: Es ist jemand gestorben. Es war Bartek Kankowski. R.I.P.

Einen Monat vorher, am 26. Juli erlebte ich dieselbe Szene. An diesem Tag flog ein kanadischer Basejumper in den Tod. Er galt in der Szene als schräger Vogel. Michael Racicot, ein Star. Er verfügte über eine 14-jährige-Skydive Erfahrung, hatte gegen 1000 Basejumps gemacht und flog seit 11 Jahren Wingsuits.

Basejumper in Wingsuit-Anzügen nach dem Start.
Zwei Basejumper in Wingsuit-Anzügen kurz nach dem Start. Nach einem Sprung vom Hinterrugg dauert ein Flug rund 90 Sekunden. Dabei erreichen die Piloten eine Geschwindigkeit von gegen 200 Stundenkilometer. (Stockphoto)

Sein Flug schien perfekt. Kurz bevor er den Fallschirm öffnen sollte, sah sein Kollege, wie Michael «Treehouse» Racicot im Flug zuckte. Und das ohne Einwirkung von Wind oder Wetter. Er habe die letzte Kurve nicht mehr erwischt, den Fallschirm nicht mehr öffnen können, schreibt sein Flugkamerad.

Es war sein letzter Flirt mit dem Tod. Freunde berichten, er habe ihnen von Anfällen erzählt, den Grund dafür aber nicht gekannt. Gut möglich, dass einer dieser Anfälle, den tödlichen Absturz auslöste.

Laut Statistik des Blincmagazine.com sind bis 9. Oktober 2018 357 Basejumperinnen, Basejumper in den Tod gesprungen.

Der Hinterrugg im Abendlicht.
Der Hinterrugg im Abendlicht. Der «Fatal Attraction» gilt bei Basejumpern als anspruchsvoller Startplatz. (Bild zVg)

Der reizvolle Flirt mit dem Tod

Erneut schaue ich hoch in die Felswände, denke über die Worte des deutschen Basejumpers Christoph Dittmer nach. Der im Berner Oberland wohnende 35jährige Berliner sagte 2012 in einem Interview mit dem Berner Oberländer « … dann stehe ich da oben an der Kante, und plötzlich kommt der besondere Moment: In dem Augenblick, wenn ich abspringe, gelange ich quasi an den Nullpunkt, wo das Hirn realisiert: Es gibt kein Zurück mehr. Bei diesem Nullpunkt sind alle Ängste und Zweifel weg, und was kommt, ist nur noch die absolute Konzentration auf den Körper und der Entschluss, es konsequent durchzuziehen. Das ist purer Spass, nicht in Worte zu fassen.»

Meine Gedanken kreisen. Fast meditativ suchen meine Augen die oberste Felskante des Hinterrugg ab. Flirtet da oben jetzt einer mit dem Tod?

Niemand weiss, wann er gehen muss. Manche meiner Bekannten aus der Hospizgruppe Sarganserland und aus dem SRK-PalliativCare-Kurs sitzen regelmässig an Betten schwerkranker Menschen. Zusammen mit den Stillwerdenden warten sie geduldig bis Gevatter Tod anklopft. In der allerletzten Lebensphase erwarten die einen Menschen eine Erlösung, andere fürchten sich. Möchten drum den Übergang ins Unbekannte schlafend erleben. Zu Hause. Den Wenigsten seis vergönnt.

Heute ist ein «Dia de Muertos». Ein Tag der Toten. In Mexiko einer der wichtigsten Feiertage. Das Fest zu Ehren und zum Gedenken Verstorbener dauert vom 31. Oktober, dem Vorabend zu Allerheiligen bis zu Allerseelen, am 2. November um Mitternacht.

Dia de Muertos. Geschminkte Frau
Mit kunstvoll geschminktem Gesicht feiert diese Mexikanerin die «Dia de Muertos». (Stockphoto)

Ein farbenprächtiges Volksfest

In diesen Tagen, sagt der Volksglaube, besuchen die Verstorbenen ihre Familien. Nachdenklich gedenken die Menschen ihrer Toten. Symbole der Vergänglichkeit säumen die Strassen. Skelette, Schädel.

In der Nacht zu Allerseelen erwarten die Menschen zu Hause die Ankunft stillgewordener Kinder. Es sind die Angelitos, die kleinen Engel. Anderntags, gegen Abend des 2. Novembers verabschieden Angehörige und Freunde ihre Verstorbenen auf den Friedhöfen. Sie essen und trinken, lachen und tanzen. Schlägt die Uhr zwölf Mal, ist für die Toten die Zeit des Abschieds gekommen. Festende – bis zum nächsten 31. Oktober.

Feiern? Zu Ehren der Toten? Ich weiss nicht, ob heute jemand feiert im Heim von Bart Kankovski. Oder zu Hause, bei «Treehouse», im kanadischen Norman Rudys, an der Tantalus Road.

Im Internet fand ich eine Einladungszeile zur Abschiedsfeier von Michael Racicot: Die Angehörigen luden Freunde, Freundinnen ein zu einem Fest des Lebens.

So nahmen sie feiernd Abschied vom tollkühnen Basejumper. Auf einem seiner Handgelenke waren die Worte tätowiert: «Geniesse das Leben».

Text: Martin Schuppli

Homepage der Schweizer Basejumper
..
Homepage mit unzähligen Videos
:
Homepage mit vielen statistischen Angaben
www.blincmagazine.com (Seite derzeit nicht erreichbar)
  :
eine weitere Quelle für tausende von Videos:

13 Antworten auf „Flirt mit dem Tod“

Esther Hürlimann sagt:

Eindrücklicher Text!

Martin Schuppli sagt:

Oh. Danke Esther Hürlimann ?

Fabienne Witchy sagt:

Sehr berührend geschrieben. Vielen Dank.

DeinAdieu sagt:

Das Kompliment ehrt mich liebe Fabienne Witchy

Margrith Amacher sagt:

Lohnt sich das Ganze zu lesen….
wir wohnen vis à vis in Unterzerzen am Walensee und hören jeweils (nachdenklich) den suchenden Heli

Martin Schuppli sagt:

Danke liebe Margrith Amacher

Silvia Riner sagt:

Ein Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Und Fragen aufwirft: Wieso suchen Extremsportler wie Base-Jumper, Speedclimber und Co. diesen Kick, sich in die Todesgefahr zu begeben? Die Chance, von diesen Adrenalin-Touren und- Flügen unbeschadet heimzukehren, liegen bei 50%. Und wieso fliegen, klettern die anderen weiter, wenn einer von zu Tode kommt?

Martin Schuppli sagt:

Es sind viel, viel mehr, die unbeschadet landen. In Walenstadt sprangen in den vergangenen 7 Jahren rund 7000 Basejumper, Basejumperinnen. 7 verloren ihr Leben.

Silvia Riner sagt:

Nun gut, das mag sein. Es gibt aber weitere Extremsportler , die versuchen mit Rekorden ihre Grenzen auszuweiten. Ist es der Respekt, der sie verlässt vor der Felswand? der Route? Die sie durchsteigen wollen? Eine Art des extremen Egoismus, der plötzlich Überhand nimmt?

Christine Friedli sagt:

Silvia Riner. Menschen suchen stets ihre Grenzen. Das ist bei allen Risikosportarten ähnlich. Bewegst du dich immer knapp an den Grenzen des Verantwortbaren, ist bei dir das Risiko für einen Unfall grösser.
Hältst du dich bei einem Risikosport an die gängigen Spielregeln, kannst du ebenso Pech haben.
Bruno Durrer (Er war Bergführer und Notarzt bei Air-Glaciers Lauterbrunnen) sagte vor Jahren zu mir: Ein Restrisiko bleibt immer, auch beim Motorradfahren.
In den Medien wird häufig vergessen, dass in der gleichen Zeit mehr tödliche Bergunfälle gibt als Basejumper & Co.
Speedclimber,
Abnoe-Taucher, Motorradfahrer oder ein Wanderer der über die Hängebrücke geht.
Der Kick sich in die Todesgefahr zu begeben ist etwas Individuelles.

Martin Schuppli sagt:

Christine Friedli so hat Bruno Durrer, er war zudem Dorfarzt sich mehrfach geäussert. Ebenfalls mir gegenüber.

Paula Wimmer sagt:

Sehr schöner Text!

Martin Schuppli sagt:

Danke Paula Wimmer

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