Zeit, über Abschied zu reden

«Und tschüss.» Abschied nehmen geschieht oft beiläufig, flüchtig und unbedacht. Was, wenn wir uns danach nie mehr sehen? So ein dahingeworfenes Abschiedswort kann zu einem zentralen Element im Leben werden. Deshalb sollten wir uns Gedanken machen, wie wir das Abschiednehmen gestalten.  

Abschied kann so vieles bedeuten. Ein Abschied von Freunden etwa nach einem gemütlichen Nachtessen. Oder ein Gutenachtkuss für die Liebste. Eine letzte abendliche Streicheleinheit für die treue Fellnase. Eine «Schlaf gut, pfus fein»-Nachricht an einen lieben Freund, eine liebe Freundin. Ein Händedruck im Schwatzgeschäft. Ein «Bis zum nächsten Mal.» Ein Umärmel für die langjährige E-Mail-Bekannte. 

Abschiede sind vielfältig. Wir verabschieden uns zigmal jeden Tag. Manchmal ists ein Drücker oder eine Faust-auf-Faust-Geste. Ein Ellbogenknuff. Oft ist der Abschied ein dahingeworfenes Wort, eine Grussformel. Gemurmelt, gerufen, bedenkenlos dahingeredet. «Ciao» und «Tschüss» sind Füllwörter geworden. «Bis Morn» eine Floskel. Der Abschied ist meist temporär. Auf Zeit also. «Gäll, wir sehen uns wieder», heisst die Devise. Meist klappt das. 

Endgültig Abschied zu nehmen, sind sich die wenigsten von uns gewohnt. Den Zeitpunkt unserer letzten Stunde kennen wir nicht – es sei denn, wir legen ihn fest. Bewusst und in Einklang mit unseren Angehörigen. 

Abschied nehmen müssen wir früher oder später von geliebten Menschen, von treuen Haustieren. Bis dass der Tod uns scheidet. Ein trauriger Moment. Gerade hier spielt die Form des Abschiednehmens eine grosse Rolle. Da taucht die Frage auf: Wie war die letzte Begegnung? Wie gingen wir auseinander? 

Eine knallende Tür zum Abschied

Hat sie die Tür geknallt, als er rief: «Ich gehe Töfffahren»? Oder nahm sie ihren langjährigen Partner liebevoll in die Arme und wünschte ihm eine gute Fahrt? Ein grosser Unterschied, wenn abends Kantonspolizisten vor der Türe stehen und den Tod des Töfffahrers melden. «Er isch uf eme Chueflade usgrutscht und i d Leitplanke tätscht. Wir kondolieren Ihnen.»

Schrecklich. Ein Tod aus heiterem Himmel. Ein unverhoffter Abschied. Gerade in solchen Momenten spielt das Wie eine grosse Rolle. Die letzte Begegnung bleibt lange in Erinnerung.

Spinnen wir die Geschichte weiter: Tage später lesen wir in der Lokalzeitung «… er verstarb auf seiner geliebten Harley bei einem Ritt über den Splügenpass. … Die Abdankung findet im engsten Familienkreis statt. …»

Traurig. Wird jemand im engsten Familienkreis beigesetzt, ist es Freunden und Bekannten verwehrt, Abschied zu nehmen. Das schmerzt. Denn gerade der Moment des gemeinsamen Abschieds stösst den Trauerprozess an. Egal, ob jemand an eine höhere Macht glaubt oder nicht: Während einer Abdankung hängen Anwesende ihren Gedanken nach, werden sich bewusst, das Leben ist endlich. Spüren, ein Leben kann jeden Moment zu Ende sein. Mein Leben. Dein Leben. Ihr Leben. 

Mich stimmt dieser Gedanke demütig. Dankbar freue ich mich jeweils am Morgen auf den neuen Tag. Versuche ihn heiter und gelassen zu erleben.

Ein Abschied heiter und gelassen

Und so verabschiede ich mich heiter und gelassen von ihnen liebe Leserinnen und Leser. Bedanken möchte ich mich bei all meinen Gesprächspartnerinnen, Gesprächspartner für Ihre Offenheit und für das Vertrauen. Bedanken möchte ich mich bei meinen langjährigen Fotografen Ueli Hiltpold, Eddy Risch, Paolo Foschini, Peter Lauth, Bruno Torricelli und Daniela Friedli. Ein grosses Merci gilt Korrektor Dominic Koch. 

Ganz herzlich danken möchte ich Nicolas Gehrig und dem DeinAdieu-Team. Kollegen, ihr habt mir die Möglichkeit geboten, meine Leidenschaft auszuleben. Danke – mit Grizzlybärendrücker.

Bei ihnen liebe Leserin, lieber Leser bedanke ich mich ebenfalls für viele positive Reaktionen und die langjährige Treue. Danke höfli.

In diesem Sinn wünsche ich allen viel Gfreuts. Bleiben Sie gesund. 

Martin Schuppli

PS: Natürlich motte ich den Laptop nicht ein. In meinem Schreib- und Schwatzgeschäft in Walenstadt tausche ich weiterhin Café gegen Gespräch, schreibe Geschichten und empfange Menschen, die über Leben und Sterben reden möchten.

2 Antworten auf „Zeit, über Abschied zu reden“

TIM KLOSE sagt:

Adieu!

Bruno Torricelli sagt:

Lieber Martin, nun hast Du «Dein Kind» zu Grabe getragen und ich konnte ebenfalls nicht Abschied nehmen, da dieser Abschied nur im engsten Familienkreis stattfand. Schade, denn ich fand Deine Bloggs spannend und interessant und vorallem so menschlich und einfühlsam. Ich habe auch gerne mit Dir zusammen diese Bloggs ins Bild gesetzt und oft war ich den Tränen nahe, wenn ich selbst dabei war und die Schicksale gleichzeitig miterlebte. Ich wünsche Dir für die Zukunft weiterhin spannende Geschichten, welche Du uns über Facebook oder irgendeiner andern Form mitteilen wirst, ich werde weiterhin Deine Wege begleiten. Danke für die langjährige Zusammenarbeit und Freundschaft. Alles Liebe für die Zukunft und fürs gerade angelaufene 2022 wünscht Dir ganz herzlich Dein langjähriger Freund und Photographer Bruno Torricelli Zürich

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