Wo kein Kläger, da kein Richter?

Das Privatrecht ist eines der wichtigsten Rechtsgebiete für die Abwicklung von Erbfällen. Dabei gibt es zwei wichtige Grundsätze, die womöglich einschlägig sein können. Den Regelfall stellt die Anfechtbarkeit dar, als Ausnahme kommt die Nichtigkeit zum Zug.

Nichtigkeit als Ausnahme

Im Grunde genommen gibt es zwei mögliche Konsequenzen bei Mängeln einer letztwilligen Verfügung, eines Urteils oder in der Abwicklung eines erbrechtlichen Sachverhaltes:

Einerseits kann man die getroffene Disposition für nichtig erklären. Damit ist diese von Beginn an unwirksam. Die Nichtigkeit ist von Amtes wegen zu beachten. Fehlerhaftigkeit für sich allein genügt in diesem Fall, auch ohne Geltendmachung, um die Handlung und ihre rechtlichen Konsequenzen aufzuheben. Ihrer Natur nach ist die Nichtigkeit an keine Frist gebunden und findet nur bei gravierenden Mängeln Anwendung. Der Grund dafür liegt darin, dass diese Wirkungen noch Jahre später erhebliche Vermögensverschiebungen nach sich ziehen können. In der Praxis verjähren allerdings die meisten Ansprüche nach 10 Jahren. Die Nichtigkeit wird durch Feststellungsklage („Nichtigkeitsklage“) konstatiert und wirkt nicht nur gegen die beklagte Partei, sondern gegen alle Beteiligten. Auch eine Teilnichtigkeit ist denkbar, wenn nicht alle Teile einer Disposition mangelhaft sind und die gültigen aufrecht erhalten werden sollen.

Die weitreichenden Folgen einer Nichtigerklärung laufen dem Interesse der Rechtssicherheit und dem Vertrauen in vollendete Tatsachen zuwider. Sie bildet daher die absolute Ausnahme.

Ein (Lehrbuch-) Beispiel eines nichtigen Testaments ist ein solches, das der Erblasser unter physischem Zwang („das Führen der Hand“) durch Dritte verfügt. Hierbei besteht gar kein Verfügungswille. Auch ein Testament, in dem der Erbgegenstand oder dessen Empfänger nicht bestimmbar oder gar nicht vorhanden ist, ist nichtig. In Grenzfällen (bspw. extreme Formmängel oder Rechts-/Sittenwidrigkeit) folgt die Praxis des Schweizerischen Bundesgerichts keiner einheitlichen Linie.

Anfechtbarkeit als Regelfall

Im Privatrecht verhindert der Grundsatz des favor negotii (Begünstigung des Rechtsgeschäfts und seines Fortbestands, hier also favor testamenti) ein Ausufern der Nichtigkeitstatbestände. Die Involvierten sollen sich mit anderen Worten auf die Gültigkeit und Verbindlichkeit einmal getroffener Entscheidungen verlassen können.

Daher kommt eine weniger radikale Lösung zum Zug: die Anfechtbarkeit. Sie ist nur auf Geltendmachung hin beachtlich, wirkt nur gegen die beklagten Parteien, und ab dem Zeitpunkt, an dem die erfolgreiche Anfechtung Rechtskraft entfaltet. Die Anfechtung ist eine Gestaltungsklage (im Gegensatz zur Feststellung der Nichtigkeit) und in ihrer Geltendmachung unterschiedlich befristet. Nach Verstreichen dieser Frist entfaltet auch eine mangelhafte Disposition unwiderruflich ihre Wirkung.

Eine letztwillige Verfügung kann aus den in Art. 519 ZGB aufgeführten Gründen auf von Erben oder Vermächtnisnehmern erhobene Anfechtungsklage hin durch das Gericht für ungültig erklärt werden. Diese umfassen die Verfügungsunfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung, Willens- oder Formmängel sowie rechts- oder sittenwidrige Inhalte von gewöhnlichem Ausmass.

Beispiele für anfechtbare Verfügungen wären also solche, die in betrunkenem Zustand errichtet wurden, nicht handschriftlich aufgesetzt sind oder bspw. Schmuggelware vererben wollen.

Für gerichtliche Urteile oder Verfügungen von Behörden gelten die gleichen Prinzipien wie für die Anfechtung des Testaments. Die Nichtigkeit ist die Ausnahme und tritt nur bei offensichtlicher Unhaltbarkeit eines Entscheids ein. In allen anderen Fällen ist eine erfolgreiche Berufung, Beschwerde oder Revision zu seiner Aufhebung vonnöten. Damit wird abermals das Vertrauen in die geltende Rechtslage geschützt.

Ein nichtiges Urteil wäre denkbar, wenn eine ordnungsgemäss eingereichte und gültige letztwillige Verfügung von den Behörden überhaupt nicht beachtet wird oder diese gar nicht für die Sache zuständig sind (krasse Willkür).

„Nur“ anfechtbar wäre demgegenüber ein Entscheid, in dem der Wert der Erbschaft falsch berechnet oder einem Erben der falsche Vermögensgegenstand zugewiesen wurde.

Im Privatrecht gilt der Grundsatz, dass Behörden nicht ohne entsprechendes Hinwirken von Parteien tätig werden. Deshalb bedarf im Regelfall die Anfechtung von Mängeln der Geltendmachung des entsprechenden Rechts. Nur in wenigen Ausnahmefällen müssen die Behörden von Amtes wegen die Nichtigkeit einer Verfügung berücksichtigen. Auch sie bedarf der Feststellung. Der wesentliche Unterschied zwischen Ungültigkeit bzw. Anfechtbarkeit und Nichtigkeit liegt in ihrer Rechtsnatur, dem Zeitpunkt und den Betroffenen ihrer Wirkung sowie der Befristung.

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