«Kein gewaltsamer Tod gleicht dem andern»

Trix Stucker wollte von Dr. Alois Birbaumer wissen, wie schmerzhaft ein gewaltsamer Tod sei. Sie schrieb DeinAdieu folgendes:

Mich beschäftigt am meisten ein gewaltsamer Tod. Das heisst: Wenn ein Mensch ermordet wird und es eine längere Zeit dauert, bis er stirbt, sterben muss oder kann. Was erlebt er, während der Zeit der Ermordung, und was fühlt er? Wie empfindet er den Schmerz, der ihm zugefügt wird bis zum Tod?

Dr. med. Alois Birbaumer antwortet folgendermassen:
Frau Stucker, Gewalt versetzt uns in eine Stress-Situation. Unter Stress schüttet der Körper die Hormone Cortisol und Adrenalin aus, was unter anderem die Herzfrequenz erhöht, wir sind wacher, aktiver. Das ausgeschüttete Adrenalin kann die Schmerzempfindung durchaus unterdrücken.

Wird man aber von der Gewalt überrascht und beispielsweise hinterrücks erstochen, hat der Körper keine Zeit Adrenalin auszuschütten und das Opfer spürt den Schmerz heftig.

Gewaltsamer Tod: Je nach Umstand schmerzvoller

Ein gewaltsamer Tod, der zu einer längeren Sterbephase führt, verläuft immer mit einer Schmerzphase. Dieser Schmerz ist sowohl psychischer wie auch physischer Art und hängt von den Umständen des gewaltsamen Todes ab. Die Palette des gewaltsamen Todes ist sehr gross. Ich zähle einige mögliche Formen auf. So können Sie sich vorstellen, was beim Opfer abläuft:

  • Verletzungen: Verkehrsunfall, Arbeitsunfall, Flugzeugabsturz, Ertrinken, Verbrechen, Krieg usw.
  • Vergiftungen
  • Suizide

Bei Verletzungen kommt es häufig zu einer Adrenalin-Ausschüttung und damit auch zu einer Unterdrückung des Schmerzempfindens. Fällt jemand rasch in Ohnmacht, wird bewusstlos, ist das Leiden wohl nicht schwer. Je nach psychischem Zustand des Betroffenen können unterschiedliche Gedankenvorgänge den Leidensdruck beeinflussen. Positive Gedanken wie «ich hatte ein gutes Leben», «ich bin dankbar, beim Sterben nicht lange leiden zu müssen» usw. vermindern den Leidensdruck, negative Gedanken hingegen, wie «warum jetzt schon», «ich hätte doch noch so viel unternehmen wollen» erhöhen ihn wahrscheinlich.

Was genau abläuft, ist sehr persönlich und kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Zudem können wir die Verstorbenen nicht mehr fragen. Von Überlebenden wird häufig über Nahtoderlebnisse berichtet. Sie sind meiner Ansicht nach mit Vorsicht zu behandeln. Häufig werden Wahrnehmungen individuell interpretiert oder in Anlehnung an bereits Gelesenes erlebt, es handelt sich um persönliche Wahrnehmungen, die nie objektiv sein können.

 Nach Unfällen folgt oft eine Bewusstlosigkeit

Persönlich erlebte ich zwei schwere Unfälle. Beide Male fiel ich schon bald in eine Bewusstlosigkeit und empfand die Zeit zwischen Unfallgeschehen und Ohnmacht weder schmerzvoll, noch psychisch belastend, im Gegenteil.

Vergiftungen verlaufen sehr unterschiedlich. Je nach Gift, je nach Menge des eingenommenen Giftes dauert die Sterbephase lange oder kurz. Vergiftungen ermöglichen meist (je nach Gift und zeitlichem Verlauf) ein Gespräch mit dem Sterbenden und sind deshalb mit dem Verlauf eines natürlichen Todes vergleichbar. Ausnahme machen Neurotoxine. Dabei handelt es um Gifte, die einen Einfluss auf das Nervensystem haben, die zu einer Bewusstseinstrübung führen können. Auch hier wird bei jedem Patienten eine andere Wahrnehmung des drohenden Todes zu verzeichnen sein.

Gewaltsamer Tod: Suizide sind Sonderfälle

Bei einem Suizid wünscht sich der Patient den Tod, es ist für ihn die vermeintlich einzige Lösung seiner realen oder irrealen Probleme. Der Verlauf des Todes ist bei Suiziden sehr abhängig von der Art des Suizides. Ein Schuss, eine Strangulation oder ein Sturz aus der Höhe verlaufen meist rasch und die Zeit des Sterbens ist demzufolge kurz. Im Gegensatz dazu erfolgt der Tod durch Medikamente häufig verzögert, da die Medikamente oft in ungenügender Menge eingenommen werden.

Insgesamt kann ich die Frage betreffend Verlauf eines gewaltsamen Todes nicht generell beantworten. Jeder gewaltsame Tod ist unterschiedlich. Genau so, wie wir beim natürlichen Tod ein persönliches, unterschiedliches, nicht voraussehbares Sterben vorfinden können.

Text: Dr. med. Alois Birbaumer/Foto: Daniela Friedli

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