Pflegeberuf: «Die Machtlosigkeit ist das Schlimmste»

Mara Dontenvill arbeitet seit fast 20 Jahren im Pflegeberuf. Den Umgang mit dem Tod musste die 44-Jährige zuerst lernen. Heute fällt ihr dieser Teil der Arbeit einfacher, und sie macht ihren Job unglaublich gerne. Den Beruf empfiehlt sie jungen Menschen trotzdem nicht.

«Wenn jemand ins Altersheim kommt, ist das die letzte Station. Obwohl das allen bewusst ist, fällt es vielen Bewohnern, Bewohnerinnen beim Eintritt schwer, über den Tod zu sprechen. Doch die meisten Menschen, die hier leben, werden mit der Zeit ein wenig weicher und fangen an, zu erzählen. Was sie sich für ihre Beerdigung vorstellen und welche Ängste sie plagen. Hier im Alters- und Pflegheim St. Martin in Olten gehen wir sehr offen mit dem Thema Tod um. Wir haben sehr viele Rituale, die sowohl den Bewohnern als auch dem Personal helfen, Abschied zu nehmen, wenn jemand verstorben ist. Denn ein Todesfall betrifft immer ein ganzes Umfeld. Uns ist es wichtig, dass wir ganzheitlich dafür da sind.

Mara Dontevill unterwegs im Altersheim: «Der Pflegeberuf ist einer der humansten Berufe, die es gibt, dennoch sind Abschied, Sterben und Tod ein Teil davon.» (Foto: Peter Lauth)

Ich mache meinen Beruf unglaublich gerne, aber für mich war es zu Beginn sehr schwer, bei der täglichen Arbeit mit dem Tod konfrontiert zu sein. Ich wollte aufhören. Ich konnte damit nicht umgehen. Das Schlimmste war für mich die Machtlosigkeit. Der Pflegeberuf ist einer der humansten Berufe, die es gibt, dennoch sind Abschied, Sterben und Tod ein Teil davon. Aber man wird reifer mit den Jahren. Ausserdem ist jeder Tod ein wenig anders. Menschen werden müde, sie wollen nicht mehr. Das muss man akzeptieren. Was mir sehr geholfen hat und heute noch hilft, ist mein Glaube. Ich gehe nicht sehr oft in die Kirche, aber ich rede, streite und diskutiere sehr viel mit Gott.

Pflegeberuf: Kein Perspektive für Junge

Als meine Tochter in das Alter kam, um eine Lehrstelle zu suchen, sagte ich ihr: ‹Gehe in ein Altersheim und schau, wie dir der Beruf gefällt.› Aber soll ich ganz ehrlich sein? Ich denke nicht, dass junge Menschen mit 16 Jahren den Umgang mit dem Tod lernen können. Sie sollten nicht jeden Tag mit so etwas Endgültigem konfrontiert sein. Das ändert nichts daran, wie gerne ich meinen Beruf mache. Wenn jemand zehn, zwölf Jahre hier war, ist diese Person wie ein Angehöriger. Klar ist es dann schwierig, Abschied zu nehmen. Und es ist natürlich schon anders, wenn jemand erst mit 90 Jahren ins Altersheim kommt und nicht lange hier ist. Aber schlussendlich brauchen alle Bewohner, alle Bewohnerinnen dasselbe: Wertschätzung, Respekt, Pflege.

Mara Dontenvill: «Wenn ich in der Kapelle bin und die Bilder der Verstorbenen betrachte, kommen mir immer sehr viele schöne Erinnerungen an Erlebnisse und spezielle Begegnungen in den Sinn.» (Foto: Peter Lauth)

Ganz weg geht die Angst vor dem Tod nie

Klar gibt es Leute, die Angst vor dem Tod haben. Angst ist in uns, sie ist ein Instinkt, der nie weggeht. Alle haben Angst. Meine Aufgabe ist es, in diesen schweren Stunden da zu sein. Das reicht manchmal schon. Nichts sagen, eine Hand halten. Manchen Bewohnern bringen wir auch Dinge, die ihnen Sicherheit vermitteln, einen Rosenkranz zum Beispiel. Und sehr wichtig ist natürlich auch die Pflege. Die Angst lindert sich, wenn sich jemand wohlfühlt. Keine Schmerzen, zu trinken und bei Bedarf zu essen haben, hat dann oberste Priorität. Doch zu unserer Arbeit gehört nicht nur, dass wir den Bewohnern in ihren letzten Stunden zur Seite stehen. Wenn jemand stirbt, ist ebenso das Umfeld betroffen. Uns ist es sehr wichtig, dass die Familie Abschied nehmen kann. Angehörige können bei uns 24 Stunden am Tag vorbeikommen und ihre Liebsten besuchen. Wenn es gewünscht wird, dürfen sie sogar hier übernachten.

Unsere Arbeit umfasst nicht nur das Pflegen von Bewohnern, sondern ebenso zwischenmenschliche Begegnungen. Es gab zum Beispiel einmal eine Tochter, die unbedingt helfen wollte, ihren Vater einzukleiden. Ich denke, das hat ihr sehr geholfen, um sich von ihm zu verabschieden. Nicht alle Angehörigen reagieren gleich, wenn jemand stirbt, und nicht alle nehmen gleich Abschied. Wütend wird eigentlich nie jemand, aber manche sind ein wenig enttäuscht. Aber viele Angehörige wissen nicht, was wir alles leisten. Ein Grund dafür ist: Sie werden nicht jeden Tag mit dem Tod konfrontiert. Der Abschied ist für uns ebenfalls nicht immer einfach.

Ist jemand verstorben, liegt im Eingangsbereich des Altersheims ein Kondolenzbuch auf. Dort kann jeder, kann jede auf eigene Art der Anteilnahme Ausdruck geben. (Foto: Peter Lauth)

Ein Foulard für die Verstorbene

Wenn jemand stirbt, nehmen nicht nur die Angehörigen Abschied, sondern ebenfalls die Bewohner und das Personal. Wir pflegen verschiedene Rituale, wenn jemand stirbt. Beim Eingang legen wir ein Kondolenzbuch auf, in das jeder seine Anteilnahme ausdrücken kann, der möchte. Im Untergeschoss haben wir eine kleine Kapelle, dort hängen Bilder von allen Leuten, die im letzten Jahr verstorben sind. Auf der Station stellen wir dann ein Bild, eine Kerze sowie einen persönlichen Gegenstand der verstorbenen Person auf. Hat eine Verstorbene immer ein Foulard getragen, legen wir so eins neben das Foto. Im Zimmer der Person stellen wir ebenfalls eine Kerze auf und je nach Religion einen kleinen Engel.

Wenn ich in der Kapelle bin und die Bilder der Verstorbenen betrachte, kommen mir immer sehr viele schöne Erinnerungen an Erlebnisse und spezielle Begegnungen in den Sinn.

Angehörige können bei uns 24 Stunden am Tag vorbeikommen und ihre Liebsten besuchen. Wenn es gewünscht wird, dürfen sie sogar hier übernachten. (Foto: Peter Lauth)

Das Heim verlassen, wie man es betrat

Man sieht es sofort, wenn jemand gestorben ist. Die Hautfarbe verrät es. Für mich ist das kein schöner Anblick, obwohl fast immer alle friedlich aussehen. Wenn jemand stirbt, informieren wir zuerst die Tagesverantwortliche. Danach einen Arzt. Er muss vorbeikommen, um den Tod festzustellen. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen wir die Person weder waschen noch umziehen. Erst wenn der Arzt den Tod festgestellt hat, informieren wir die Angehörigen und ziehen die verstorbene Person um. Klar haben wir noch die Bestattungshemden, doch die meisten Personen möchten in ihrer eigenen Kleidung beerdigt werden.

Später kommt ein Bestatter, der die Person abholt. Durch den Haupteingang, so wie sie das Heim betreten hat, verlässt sie es wieder. Für jeden Bewohner ist eine Person speziell verantwortlich. Diese nimmt an der Beerdigung teil und verabschiedet sich als Vertretung des Personals von der Person. Solche Rituale helfen uns Angestellten sehr, um Abschied zu nehmen.»

Aufgezeichnet von Anja Zingg, Fotos: Peter Lauth

Diese Reportage entstand in Zusammenarbeit mit Journalismusstudenten der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW).

Pflegeberuf: Ausbildung

In der Schweiz ist die Ausbildung zur Pflegefachfrau | zum Pflegefachmann auf der Tertiärstufe angesiedelt und dauert drei Jahre.

Man kann sie entweder an einer Fachhochschule (FH, Tertiär A) oder an einer Höheren Fachschule (HF, Tertiär B) absolvieren. In der Westschweiz, mit Ausnahme des französischsprachigen Teils des Kantons Bern, wird die Ausbildung ausschliesslich auf FH-Stufe angeboten.

Die Bildungsgänge HF und FH unterscheiden sich durch unterschiedliche Zulassungsbedingungen und Kompetenzprofile. Beide bereiten jedoch auf die professionelle Berufsausübung vor.

Diese Situation gilt seit 2002, als die Zuständigkeit für die Ausbildung der Gesundheitsberufe in die Bundeskompetenz überging.

Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner SBK – ASI
Choisystrasse 1, 3001 Bern
Tel: +41 31 388 36 36
www.sbk-asi.chinfo@sbk-asi.ch

Eine Antwort auf „Pflegeberuf: «Die Machtlosigkeit ist das Schlimmste»“

Neuhier sagt:

Ich bedanke mich für den Einblick. Das beruhigt ein bisschen, wenn man den Erfahrungsbericht einer Altenpflegerin hört. Man kann ja so dtvmit niemandem darüber reden. Ich finde es sehr beruhigend, wie respektvoll mit den Alten Menschen umgegangen wird. Dankeschön!

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