«Wenn sie nichts unternehmen, würde ihr Kind fremdplatziert»

Sie haben Gewalt erlebt, leiden unter psychischen Schwierigkeiten oder haben Integrationsbedarf. Und wollen unter keinen Umständen von ihren Kindern getrennt werden. Bei der Stiftung für Eltern und Kind (ELIM) finden Mütter Unterstützung. Wir haben mit dem Institutionsleiter Daniel Berger gesprochen.

Wer kommt zu Ihnen, Daniel Berger?
Meistens sind es Mütter mit ihren Kindern, die in einer schwierigen Lebenssituation sind und ihre Kinder gerade nicht eigenständig versorgen können. Sie stehen unter dem Druck einer grossen Notsituation. Nicht selten kommt noch der behördliche Druck, meist von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) hinzu. Wenn sie nichts unternehmen, würde ihr Kind fremdplatziert.

Mit welchen Problemen haben die Frauen zu kämpfen?
Oft sind soziale Probleme da: Sie haben Gewalterfahrungen gemacht, sind traumatisiert oder es liegt Integrationsbedarf vor oder eine Suchtthematik. Häufig sind die Frauen den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen. Einige leiden unter psychischen Schwierigkeiten, sind etwa psychotisch, leiden unter einer Borderline-Störung oder paranoiden Störungen. Auch kommen Frauen mit kognitiven Schwächen, einer leichten geistigen Behinderung, die kein Umfeld haben, das Unterstützung bietet. Früher wurden deren Kinder gleich fremdplatziert. Durch unsere Hilfe können sie ihre Mutterrolle trotzdem wahrnehmen. Dafür sind sie sehr dankbar.

«Dass wir etwas bewirken können, begeistert mich», sagt Daniel Berger, Institutionsleiter der Elim Stiftung für Eltern und Kind.


Kommen sie von sich aus?
Einige melden sich selber, oft werden sie aber via Beistand oder vom Sozialdienst zugewiesen. Manchmal steht die Opferhilfe dahinter oder es gibt eine Gefährdungsmeldung vom Kinderarzt oder anderen Fachstellen.

Wie geht es den Frauen, die kommen?
Die Gefühle sind gemischt. Teils haben sie mit grossem Widerstand zu kämpfen. Sie würden
lieber eigenständig leben, haben aber den Auftrag der Behörde oder des Beistands zu erfüllen und müssen stationär bei uns bleiben. Das kann schwierig sein. Einige haben das Gefühl, sie bräuchten die Unterstützung nicht. Andere sind sehr dankbar. Wenn es ihnen gelingt, das Beste aus der Situation zu machen und den Aufenthalt als Chance wahrzunehmen, ist nachhaltige Veränderung möglich, wie die Erfahrungen zeigen.


Was ist mit den Vätern?
Manchmal betreuen wir sie mit, immer häufiger wohnen sie auch bei uns. Dies ist hinsichtlich
der Zukunft hilfreich, weil die Paardynamik ein Schlüssel sein kann. Manchmal sind sie aber auch ein Teil des Problems und noch immer glänzen viele von ihnen mit Abwesenheit.

Wie alt sind die Kinder?
Häufig sind es Kleinkinder im Vorschulalter, Babys, Ein- bis Dreijährige, aber manchmal auch bis 17-Jährige. Einmal kam eine Frau mit sechs Kindern zu uns. Wir haben auch verdeckte Platzierungen, wenn Frauen von Gewalt betroffen sind, eingesperrt worden waren. Analphabetinnen, die hinsichtlich der komplexen Anforderungen der modernen Gesellschaft überfordert sind und im Frauenhaus nicht genügend Unterstützung erhalten können.


Wie helfen Sie?
Wir möchten für die Frauen langfristig eine Lösung finden und die nötige Unterstützung bieten. Wir arbeiten mit Therapeuten, der Schule und anderen Fachstellen zusammen. Spannend finde ich die Arbeit mit einer doppelten Zielgruppe: mit den Kindern und den Müttern. Das ist für die Sozialpädagoginnen sehr anspruchsvoll, sie erziehen ja nicht das Kind, sondern befähigen die Mutter, es zu erziehen. Die Mutter soll das Recht haben, dies auf ihre Weise zu machen. Wir zeigen Wege auf, wie sie dabei den Bedürfnissen des Kindes gerecht werden kann. Das zahlt sich aus, wenn Mütter und ihre Kinder dafür die nächsten 16 Jahre zusammenbleiben können. Jede Mutter will das Beste für ihr Kind, die KESB und der Beistand auch. Und wir auch. Das Wohl des Kindes ist der gemeinsame Nenner.

Wie lange bleiben die Familien?
Im Durchschnitt elf Monate. Kurzaufenthalte dauern drei Monate, es kann aber auch mal
drei Jahre gehen. Wir bieten auch Nachbetreuung, oder sozialpädagogische Familienbetreuung.

Wie finanziert sich die Stiftung? Wofür brauchen Sie Spenden?
Für den Betrieb, die Betreuung und Förderung haben wir einen Leistungsvertrag mit dem Kanton Bern. Für die Weiterentwicklung der Institution, etwa Standorterweiterungen, sind wir aber auf Spenden angewiesen. So haben wir etwa in Steffisburg einen Block gemietet und den Aussenbereich mit Spielgeräten gestaltet. Ohne Spenden wäre so ein Projekt nicht zu stemmen gewesen.

Daniel Berger: «Durch unsere Hilfe können die Frauen ihre Mutterrolle trotzdem wahrnehmen.» © Manu Friederich

Warum arbeiten Sie da?
Ich arbeite seit 2007 da. Das Konzept hat mich von Beginn weg überzeugt, und ich habe in
dieser Zeit rund 150 Mütter mit ihren Kindern kennengelernt. Jede Situation war einzigartig und hat Unterstützung verdient. Für die betroffenen Mütter geht es um sehr viel, nämlich darum, nicht vom Kind getrennt zu werden. Als wir vor 16 Jahren begannen, hatten wir gerade einmal vier Plätze in Emmentaler Wasen. Es war noch ein kleiner Betrieb. Dass wir etwas entwickeln und aufbauen konnten in diesen Jahren, macht die Arbeit so spannend und motiviert mich. Derzeit beschäftigen wir über 50 Mitarbeiter, bieten über 3000 Stellenprozente und begleiten 25 Familien. Ich sehe, dass wir etwas bewirken können und dies begeistert mich.


Gibt es eine Geschichte, die Sie besonders bewegt hat?
Ich erinnere mich an eine junge Frau, die mit ihrem Baby von der Polizei gebracht wurde. Die KESB hatte dies superprovisorisch verfügt. Sie war geladen, ihr Widerstand war gross. Ich sagte ihr: «Versuche, das Beste draus zu machen. Mach es für deinen Sohn.» Sie war ein Jahr bei uns. Als ich später einmal für eine Broschüre Stimmen sammelte, wollte sie sich unbedingt beteiligen. Ihre Rückmeldung war: «Das Elim war das Beste, was mir passieren konnte.» Ihre Haltung war nach ein paar Wochen gekippt und hat letztlich Veränderung möglich gemacht. Das hat mich sehr gefreut. Neun von zehn Müttern haben nach der Zeit bei uns mit dem Kind eine Lösung gefunden, werden oft ambulant weiter begleitet. Das zeigt, dass wir der Mutter die Chance geben möchten, mit ihrem Kind zusammenzubleiben, einen Weg suchen.

Die Elim Stiftung für Eltern und Kind hat drei Standorte im Kanton Bern. Sie bietet in Wasen, Wiedlisbach und Steffisburg betreutes Wohnen und professionelle Unterstützung für Mütter und schwangere Frauen, die in eine Notlage geraten sind. Ziel ist es, das Wohl des Kindes zu sichern, ohne dass Mutter und Kind getrennt werden müssen.

Die Dienstleistungen werden bestmöglich an die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen des Familiensystems angepasst. Das Konzept umfasst ambulante bis stationäre Angebote. Kernanliegen sind eine sichere Bindung zwischen Mutter und Kind, die Stärkung der Mutterkompetenzen und ein stabiles soziales System. So gibt es Wohnungen oder Wohngemeinschaften mit professioneller Rundumbetreuung während 24 Stunden, betreutes Wohnen mit Pikettdienst als Zwischenschritt auf dem Weg in die Selbstständigkeit oder die sozialpädagogische Familienbegleitung, mit der alleinerziehende Elternteile und Familien darin unterstützt werden, problematische Lebenssituationen positiv anzugehen und zu verändern.

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