Die Chance, wieder Tritt zu fassen im Leben

Die Zürcher Stiftung zsge hilft Leuten, die aus dem Strafvollzug entlassen werden, die psychisch belastet sind oder eine Suchtthematik haben, wieder in ordentliche Bahnen zu gelangen. In der stiftungseigenen Werkstatt erlebten viele von ihnen zum ersten Mal Wertschätzung, sagt Geschäftsführer Edgar Rutishauser. Er selber habe viel gelernt von den Menschen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen.

Edgar Rutishauser ist Geschäftsführer der Stiftung zsge. Bilder: Djamila Grossmann

Die Stiftung zsge hat den Grundauftrag der Resozialisierung und Integration von Menschen, die mit der Justiz in Konflikt geraten sind.

Wer sucht Unterstützung und Beratung bei Ihnen, Herr Rutishauser?

Wir unterstützen jene, die gerade aus dem Strafvollzug entlassen werden, wenn sie eine neue Wohnung oder Arbeit suchen müssen. Häufig haben unsere Klienten – es sind hauptsächlich Männer, nur vereinzelt Frauen – Delikte der Beschaffungskriminalität wie Einbrüche, Diebstähle oder leichte Körperverletzung begangen, oft sind sie Wiederholungstäter. Mittlerweile gehören aber auch Menschen mit herausfordernden Biographien zu unseren Klienten, die nicht in der Mühle der Justiz gelandet sind. Insbesondere Menschen mit Suchtthematiken, psychisch belastete Personen oder solche aus zerrütteten Familien. Wir bieten den Leuten also nachhaltig die Chance, wieder Tritt zu fassen in einem ordentlichen Leben. Wir versuchen, gemeinsam mit ihnen ihre Zukunft zu planen, Anschlusslösungen zu suchen. Ziel ist, dass sie wieder ein selbstbestimmtes und konstruktives Leben führen können.

Kommen die Leute freiwillig zu Ihnen?

Bei uns leben nicht nur Personen aus dem Strafvollzug, sondern auch Leute, die vom Sozialdienst zugewiesen werden. Es sind Leute, die etwa wieder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden sollen oder die eine geregelte Wohnstruktur brauchen. Damit wir helfen können, braucht es vonseiten der Leute aber schon eine gewisse Bereitschaft, sich an Regeln zu halten und zu kooperieren. Sie müssen Willens sein, diesen Schritt in ein neues Leben zu gehen und sich auf Veränderungen einzulassen.

Wie finden Sie das heraus?

Wir arbeiten in unserem Wohnbetrieb «Waffenplatz45» mit einem Vier-Phasen-Konzept. Am Anfang loten wir aus, wie weit und reif jemand ist. Manche brauchen nochmals eine Schlaufe und landen zum Beispiel wieder auf der Gasse. Andere verlassen unser Haus wieder, da für sie der Anpassungsdruck zu gross ist. Sie wechseln in andere Einrichtungen, die besser auf sie zugeschnitten sind.

Wie lange wohnt jemand durchschnittlich im «Waffenplatz45»?

In der Regel bleiben die Leute für eineinhalb bis zwei Jahre bei uns, ehe sie in eine eigene Wohnung ziehen. Aber es gibt Ausnahmen: Der Älteste lebt seit zwölf Jahren bei uns.

Sie haben einen Wohn- und einen Werkbetrieb. Wie funktionieren die beiden Betriebe?

Im Wohnbetrieb «Waffenplatz45» haben wir verschiedene Wohnungen. Die Leute wohnen zu dritt in einer WG, in der sie sich finden müssen. Sie müssen den Haushalt selber bewerkstelligen, und wir begleiten sie dabei, machen Sitzungen, Zimmerkontrollen, es gibt gemeinsame Anlässe. Gewisse Klienten haben Auflagen aus der Justiz, auf die wir ein Auge haben müssen. In unserem Arbeitsbetrieb «Werkraum4» erhalten die Leute, die bei uns wohnen, sehr schnell auch eine geregelte Arbeitsstruktur. Sie können dort per sofort tätig werden. Zudem bieten wir im Werkraum4 auch gemeinnützige Arbeit an: Anstatt kurze Haftstrafen im Gefängnis zu verbüssen, können die Leute diese durch Arbeit bei uns abverdienen. Und wer seine Geldbusse aus finanziellen Gründen nicht bezahlen kann, hat bei uns die Möglichkeit, diese ebenfalls in Form von gemeinnütziger Arbeit zu begleichen.

Welche Arbeiten führen die Leute aus?

In der Recyclingwerkstatt wird vor allem Elektroschrott recycliert. Im Atelier stellen wir aus rezyklierten Materialien verschiedene Verkaufsprodukte her, die unter unseren beiden Labels recyclingArt und Lerski verkauft werden.

Wie ist die Atmosphäre zwischen den Klientinnen und Klienten?

Es geht häufig sehr «gschaffig» und friedlich zu und her. Die Leute erleben die Arbeit nach einer ersten Ankommenshürde als sinnvoll und hilfreich. Sie schätzen es, eine Tagesstruktur zu haben, einen Sinn darin zu sehen, etwas herzustellen, das auch in den Verkauf geht. Manche schicken sich auch einfach da hinein.

Gibt es für die Arbeit einen Lohn?

Wer gemeinnützige Arbeit verbüsst, verdient nichts, wer vom Sozialdienst kommt, erhält eine Integrationszulage.

Wann ist die Reintegration Ihrer Meinung nach gelungen?

Erfolg ist, wenn die Leute einen Prozess durchgemacht haben und ein Bewusstsein dafür entwickelt haben: «Ich trage Verantwortung für mein Leben.» Häufig gelingt das, weil sie endlich eine Wertschätzung und Anerkennung erleben für das, was sie machen. Viele hatten zuvor noch nie eine Honorierung erlebt. Es ist für sie neu, angenommen und willkommen zu sein und Raum zu erhalten. Den Erfolg über längere Zeit tatsächlich zu messen, ist aber schwierig, was etwa die Rückfallquote bei Delikten betrifft.

Was schätzen Sie an der Arbeit am meisten?

Ich bin nun seit acht Jahren hier. Ich mag die Authentizität und das Reale dieser Arbeit mit Menschen. Man ist sehr nah am Puls des Lebens, erhält Einblicke in die Schattenseiten des Lebens und kann etwas bewegen. Ich lerne viel von diesen Menschen, die vom Leben gezeichnet sind.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Anhand der verschiedenen menschlichen Schicksale, die ich miterlebe, gelingt es mir immer besser, eigene Problemstellungen zu relativieren und mehr Achtung dem Positiven zu schenken. Zudem habe ich gelernt, kleine Schritte in einem Veränderungsprozess zu würdigen.

Die Stiftung zsge wurde im Jahr 1975 gegründet. Vorläufer der Stiftung zsge war der «Zürcherische Schutzverein», der sich schon im 19. Jahrhundert für soziale Belange, insbesondere für die Unterstützung und Reintegration von benachteiligten Personen wie Strafentlassenen, einsetzte. Die Stiftung wird vom Geschäftsführer Edgar Rutishauser geleitet, dem die Gesamtverantwortung der Betriebe Werkraum4 (Arbeiten), Waffenplatz45 (Wohnen) und der Bussenanlaufstelle sowie den beiden Verkaufslabels recyclingArt und Lerski obliegt.

Wie finanziert sich Stiftung zsge?

Wir finanzieren uns zu rund 88 Prozent über die Leistungsaufträge mit der öffentlichen Hand, also über Justiz und Sozialdienste. Ein kleiner Teil macht der Verkaufserlös der Produkte aus, die wir herstellen. Und natürlich finanzieren wir uns auch über Spenden und Legate.

Wie wichtig sind Spenden und Legate für die Stiftung?

Sie machen rund zehn Prozent aus und sind eine wichtige Einkommensposition, weil wir selber auch Spendenvergabungen machen. Bei uns können bedürftige Personen Gesuche stellen, die in finanzieller Not sind. Wir unterstützen sie etwa bei einer Weiterbildung oder bezahlen jemandem die Fahrprüfung, damit er oder sie als Taxifahrer/in arbeiten kann oder im Verkauf. Und wir brauchen das Geld für Projekte wie der Ausbau unserer Verkaufskanäle oder dem zusätzlichen Schaffen von Wohnplätzen für unsere Klientel.

Wer spendet für die Stiftung zsge?

Unter den Spendern sind viele Einzelpersonen, kirchliche Einrichtungen oder einzelne Firmen, welche unseren Auftrag als der Reintegration für sinnvoll halten. Legatgeber sind häufig Leute, die über ihre Verwandtschaft oder Bekanntschaft einen Bezug zur Justiz hatten. Sie wollen danke sagen, etwas zurückgeben.

Mehr zur Stiftung zsge: https://www.deinadieu.ch/hilfswerke/stiftung-zsge/

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