Alexandra Zeiter, Fachanwältin für Erbrecht: „Ich sehe viele Familiengeschichten.“

Alexandra Zeiter berät Personen beim Verfassen von Testamenten, vertritt Angehörige, die um ihr Erbe gebracht werden sollen und unterstützt NGOs, die um ihr Geld kämpfen müssen. In ihrem eigenen Testament hat die Fachanwältin für Erbrecht und Lehrbeauftragte an der Universität Zürich ebenfalls NGOs berücksichtigt.

Sie sind Fachanwältin Erbrecht, arbeiten aber auch mit NGOs zusammen. Welches sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Alexandra Zeiter: Wir Erbrechtlerinnen und Erbrechtler unterstützen unsere Klientinnen und Klienten klassischerweise bei den Nachlassplanungen. Dazu gehört nicht nur die Errichtung von Testamenten oder der Abschluss von Erbverträgen und Eheverträgen, sondern auch die Beratung im Zusammenhang mit Zuwendungen zu Lebzeiten. Wir vertreten zudem Personen in Erbteilungen, etwa Erben, die begünstigt oder übergangen worden sind, oftmals auch bei Gerichtsprozessen. Auch werden wir als Willensvollstrecker eingesetzt. NGOs kommen etwa dann ins Spiel, wenn sie von einem Verstorbenen im Testament berücksichtigt worden sind. Oft kommen die NGOs auf uns zu, wenn es deswegen zu Problemen kommt.

Ansonsten zeigt meine Erfahrung, dass es in der Regel einfacher ist, NGOs mit Legaten zu begünstigen, anstatt sie als Erben einzusetzen.

Kommt es häufig zu Konflikten mit den Nachkommen?
Das kommt immer wieder einmal vor. Für einige Nachkommen ist es schwierig zu akzeptieren, dass NGOs einen Teil des Nachlasses erhalten sollen. Des Öfteren habe ich erlebt, dass sie von den NGOs erwarten, dass diese auf ihre Ansprüche verzichten. Immer wieder werden NGOs sogar unter Druck gesetzt, indem man ihnen mit dem Gang an die Presse droht, sollten sie auf ihrem Erbe bestehen.

Wie können solche Konflikte verhindert werden?
Ideal ist es, wenn der Erblasser seine Familie, vor allem die Nachkommen, in seine Nachlassplanung miteinbezieht. Das ist stets mein Ratschlag: Besprecht eure Regelung mit den Kindern, involviert sie. Es ist einfacher, wenn sie dahinterstehen. Ansonsten zeigt meine Erfahrung, dass es in der Regel einfacher ist, NGOs mit Legaten zu begünstigen, anstatt sie als Erben einzusetzen. Natürlich hatte ich Fälle in meiner Praxis, in denen die Erbteilung unproblematisch abgelaufen ist, obwohl NGOs als Erben eingesetzt wurden. Das sind aber häufig Fälle, bei denen der Verstorbene keine nahen Verwandten, weder Ehegatten noch Kinder, hinterlassen hatte.

Nur ungefähr jede vierte Person in der Schweiz macht ein Testament. Warum sind es nur so wenige?
Einer der Hauptgründe liegt sicherlich darin, dass sich die Menschen ungern mit dem eigenen Tod auseinandersetzen. Weiter gibt es viele Personen, die sich nicht bewusst sind, dass für sie eine Regelung notwendig sein könnte. Und drittens vertraut eine erhebliche Anzahl von Personen einfach darauf, dass das Gesetz schon die richtige Regelung für ihren Fall bereithält.

Auch rate ich davon ab, es in einem Banktresor zu hinterlegen. Den Banktresor können nämlich nur die Erben öffnen, und wer Erbe ist, ergibt sich ja wiederum aus dem Testament.

Wie muss man vorgehen, wenn man ein Testament aufsetzen lassen möchte? Kann man auch zu Hause eines schreiben und in einen Schrank legen?
Es gibt viele Leute, die sich im Internet informieren und danach ihr Testament schreiben. Das ist nicht falsch, aber dennoch empfehle ich in jedem Fall, das Testament mit einer Fachperson zu besprechen und von ihr – sofern man es bereits geschrieben hat – prüfen zu lassen. Eine solche Beratung ist meines Erachtens gut investiertes Geld. Es geht nämlich schnell etwas vergessen, oder eine Formulierung ist unpräzise. Unklare und unvollständige Testamente sind die Hauptgründe für Diskussionen und Streitigkeiten zwischen den Erben. Zentral ist aber die Frage, wo das Dokument hinterlegt wird. Ich rate sehr davon ab, es zu Hause irgendwo zu verstauen.

„Jeder Fall ist für mich einzigartig.“ – Alexandra Zeiter (Bild: Djamila Grossman)

Warum?
Es kann sein, dass das Testament nicht gefunden wird oder in falsche Hände gerät. Das muss man unbedingt vermeiden. Auch rate ich davon ab, es in einem Banktresor zu hinterlegen. Den Banktresor können nämlich nur die Erben öffnen, und wer Erbe ist, ergibt sich ja wiederum aus dem Testament. Am besten hinterlegt man das Testament bei einer offiziellen Stelle und übergibt eine Kopie einer Vertrauensperson. Im Kanton Zürich beispielsweise können Testamente beim Notariat hinterlegt werden. Wie wichtig es ist, das Testament an einem Ort zu hinterlegen, wo es beim Ableben auch gefunden wird, zeigt ein Fall aus meiner Praxis. Da verstarb eine Person ohne direkte Nachkommen. Die gesetzlichen Erben waren die Nichten und Neffen. Diese verteilten den Nachlass gemäss Gesetz. Fünf Jahre nach vollzogener Erbteilung reichte eine Bank ein Testament der verstorbenen Person ein, sie hatte offenbar erst vom Ableben erfahren. Darin waren zwei Nachbarn als Erben eingesetzt worden. Am Ende mussten die Nichten und Neffen sämtliches Erbe den Nachbarn ausbezahlen, teils hatten sie das Geld schon verbraucht. Ein Testament hat also kein Verfalldatum.

Dann geht es bei Ihrer Arbeit häufig sehr emotional zu?
Wenn sich die Leute für die Testamentserrichtung beraten lassen, geht es meistens sehr sachlich zu. Anders sieht es häufig bei den Fällen aus, bei welchen wir nach dem Tod involviert werden. Dann wird es häufig sehr emotional, laut und tränenreich. 

Sie erleben so einiges…
Ja, das macht meinen Beruf auch so interessant. Ich sehe – wohl ähnlich wie eine Psychologin – viele Familiengeschichten. Und jeder Fall ist für sich einzigartig. Erbrecht ist viel mehr als nur ein Rechtsgebiet. Hinter dem Erbrecht stecken Emotionen und Geschichten, die nur das Leben schreiben kann.

Ums Geld wird gern gestritten?
Ja, obwohl die Leute oft sagen, es gehe nur ums Prinzip. Dabei geht es häufiger um familiäre Verletzungen oder – auch subjektiv empfundene – Ungerechtigkeiten, die bis in die frühere Kindheit zurückreichen, mithin um eine Art Abrechnung.

Wer macht ein Testament: Nur alte, kranke und sehr vermögende Leute?
Vorwiegend ältere oder auch kranke Personen. Diese sind sich eher bewusst, dass das Leben endlich ist. Es hängt jedoch weniger vom Vermögen ab, sondern häufig ist die familiäre und persönliche Situation ausschlaggebend für das Verfassen eines Testaments.

Sollten nicht alle ein Testament aufsetzen, bevor sie die Welt verlassen?
Nein, aber jeder sollte sich die Frage stellen, was er will und diese Wünsche mit der Lösung vergleichen, die das Gesetz für seinen Fall vorsieht. Da kann man zum Schluss kommen, dass es gar kein Testament braucht. Viele Berater sollten diesbezüglich mutiger sein und einem Klienten auch einmal raten, nichts zu regeln, wenn es keine Regelung braucht.

Ja, und ich habe auch NGOs berücksichtigt. Es sind NGOs, bei denen nicht Tiere, sondern Menschen im Zentrum stehen.

Wer berücksichtigt NGOs oder Hilfswerke?
Ich stelle in meiner Praxis fest, dass es oft kinderlose Personen sind. Viele dieser Personen fragen sich, ob ihr Vermögen tatsächlich zu Nichten und Neffen fliessen soll, zu denen sie nie eine Beziehung unterhalten hatten. Zudem begünstigen häufig Personen eine NGO, die einen Bezug zu einem speziellen Thema haben, wie beispielsweise Tierliebhaber oder Leute, die ein behindertes Kind haben. Diese Personen begünstigen dann häufig Hilfswerke oder Institutionen, die sich diesem speziellen Thema widmen.

Wie hoch sind die Summen?
Völlig unterschiedlich. Ich hatte schon Fälle, in denen NGOs viele Millionen Franken erhalten haben. Und dann gibt es Vermächtnisse mit geringeren Beträgen.

Haben Sie selber bereits ein Testament verfasst? 
Ja, und ich habe auch NGOs berücksichtigt. 

Welche?
Das verrate ich nicht (lacht). Aber es sind NGOs, bei denen nicht Tiere, sondern Menschen im Zentrum stehen.

Alexandra Zeiter (47) ist seit über 20 Jahren als Rechtsanwältin tätig, seit 15 Jahren als Fachanwältin für Erbrecht. 2011 hat sie gemeinsam mit zwei Partnern eine Kanzlei gegründet, die ausschliesslich erbrechtliche Fälle betreut. Mittlerweile zählt die Kanzlei sechs Erbrechtsexperten. Alexandra Zeiter ist seit 2014 Lehrbeauftragte für Erbrecht an der Universität Zürich. Bis vor Kurzem lehrte sie auch an den Universitäten in Luzern und Freiburg Erb- und Familienrecht.

 

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