Die Nachlassplanung bei Demenz

Eine Demenzdiagnose verändert vieles im Leben der Betroffenen und ihrer Familien. Auch erbrechtliche Fragen werden dadurch aufgeworfen. Je nach Fortschritt der demenziellen Erkrankung wird die Nachlassplanung sogar ganz verunmöglicht. Aus diesem Grund ist eine behutsame und frühzeitige Auseinandersetzung mit diesem Thema zentral. Sie hilft der betroffenen Person dabei, ihre Selbstbestimmung zu bewahren und entlastet alle Beteiligten.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Urteilsfähigkeit nach Art. 16 ZGB ist zwingende Voraussetzung für die Erstellung oder Änderung von Testamenten bzw. Erbverträgen.
  • Die Urteilsfähigkeit kann bei Demenz schleichend verloren gehen
  • Ungültige Testamente oder Erbverträge sind nach Art. 519 ZGB anfechtbar
  • Ein Vorsorgeauftrag (Art. 360 ff. ZGB) sichert die Vertretung bei Eintritt der Urteilsunfähigkeit
  • Frühzeitige notarielle Beurkundung und ärztliche Dokumentation schaffen Rechtssicherheit bei demenziellen Erkrankungen

Urteilsfähigkeit als Grundvoraussetzung für die Testierfähigkeit

Nach Art. 467 ZGB kann nur eine volljährige und urteilsfähige Person ein Testament errichten oder einen Erbvertrag abschliessen. Urteilsfähig ist, wer die Tragweite seiner Handlungen erkennen und entsprechend dieser Einsicht handeln kann. Die Urteilsfähigkeit wird in der Regel von Gesetzes wegen vermutet.

Die Urteilsfähigkeit wird für jeden Rechtsakt separat beurteilt (relative Urteilsfähigkeit). Sie muss immer in Bezug auf die konkrete Person, die konkrete Handlung und den konkreten Zeitpunkt beurteil werden. Dabei sind für «einfachere» Angelegenheiten die Voraussetzungen an die Urteilsunfähigkeit tiefer. Bei «schwierigeren» Rechtsgeschäften sind die Voraussetzungen höher.

Beispiel: Herr Müller ist aufgrund seiner demenziellen Erkrankung in seinen kognitiven Fähigkeiten eingeschränkt. Seine aktuellen kognitiven Fähigkeiten erlauben es ihm dennoch, problemlos alltägliche Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig hat er nicht mehr die Fähigkeit, zu verstehen, welche Auswirkungen die Änderung seines Testaments auf seine Erbinnen und Erben und seine Familie haben könnte. Folglich ist Herr Müller trotz seiner weiterhin bestehenden Fähigkeiten nicht mehr urteilsfähig in seiner Nachlassplanung.

Es ist Aufgabe der klagenden Partei, die Urteilsunfähigkeit der erblassenden Person nachzuweisen. Ist wegen altersbedingter Altersschwäche nach der allgemeinen Lebenserfahren jedoch eher die Urteilsunfähigkeit zu vermuten, dreht sich der Spiess um: In solch einem Fall muss die andere Partei die Urteilsfähigkeit nachweisen.

Gerade bei Demenzerkrankungen ist es in der Praxis sehr schwierig zu beurteilen, wann und in welchem Mass eine Person urteilsunfähig geworden ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die betroffene Person sogenannte «luzide Momente» erlebt. In solchen Momenten hat die Person, trotz demenzieller Erkrankung, ihre Urteilsfähigkeit in einem gewissen Masse wiedererlangt und kann rechtlich gesehen auch dementsprechend handeln.

Die Anfechtung durch die Ungültigkeitsklage

Ein Testament, das in einem Zustand fehlender Urteilsfähigkeit verfasst wurde, kann mittels Ungültigkeitsklage (Art. 519 ZGB) angefochten werden. Klagen können nur Personen, die ein erbrechtliches Interesse haben. Das sind in der Regel gesetzliche oder gewillkürte Erbende sowie Vermächtnisnehmer:innen. Aber auch ehemalige Erbende oder Vermächtnisnehmer:innen können unter Umständen klagen.

Beispiel: Brigitte wurde durch ihren Nachbarn Marcus am 5. Dezember 2020 in seinem Testament als Erbin eingesetzt. Wegen eines Streits nahm Marcus Brigitte am 20. Juli 2023 aus seinem Testament raus. Weil Marcus 2021 mit einer stark fortschreitenden demenziellen Erkrankung diagnostiziert wurde, stellt sich die Frage, ob er im Juli 2023 noch testierfähig war. Brigitte entschliesst sich deshalb, das Testament vom 20. Juli 2023 mittels Ungültigkeitsklage anzufechten. Das kann sie tun, weil sie ein erbrechtliches Interesse hat, obwohl sie nicht mehr als Erbin im Testament genannt wird.

Vorsorgliche Massnahmen bei drohender Demenz

Behutsame Nachlassplanung

Wenn sich erste Anzeichen einer Demenz zeigen, ist es ratsam, die Testier- und Erbvertragsfähigkeit überprüfen zu lassen und gemeinsam mit vertrauten Personen über die eigenen Wünsche zu sprechen. Ein öffentlich beurkundetes Testament nach Art. 499 ff. ZGB bietet erhöhte Rechtssicherheit, da die Urkundsperson die Urteilsfähigkeit prüft und im Protokoll festhält.

Vorsorgeauftrag als Vertrauensbeweis

Mit einem Vorsorgeauftrag nach Art. 360 ff. ZGB kann die betroffene Person eine natürliche oder juristische Person bestimmen, die sie bei Urteilsunfähigkeit in den Bereichen Personensorge, Vermögenssorge und/oder Rechtsverkehr vertritt. Dies wahrt die Selbstbestimmung und gibt den Angehörigen klare Handlungsanweisungen.

Medizinische Begleitung

Bei fortschreitender Erkrankung kann ein ärztliches Zeugnis über die Urteilsfähigkeit (sog. Luziditätsattest) zum Zeitpunkt der Verfügung erstellt werden. Diese vorsorgliche Massnahme erschwert spätere Anfechtungen erheblich und gibt allen Beteiligten Rechtssicherheit.

Patientenverfügung

Mit einer Patientenverfügung nach Art. 370 ff. ZGB kann die betroffene Person festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Falle ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt. Sie kann sogar eine natürliche Person bezeichnen, die im Falle ihrer Urteilsfähigkeit mit dem medizinischen Fachpersonal in Kontakt tritt und in ihrem Namen Entscheidungen treffen soll.

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