Markus Freudiger: «Die Lepra-Mission hilft den Ärmsten»

Der Geschäftsleiter der Lepra-Mission Schweiz redete mit DeinAdieu über die Arbeit des Hilfswerks, über seinen Glauben an Gott sowie die gelebte Nächstenliebe, ohne die seine und die Arbeit seines Teams niemals so nachhaltig wäre.

Markus Freudigers Augen strahlen. Ich treffe einen sympathischen, ehrlichen Menschen. Begrüsse ihn, den Geschäftsleiter der Lepra-Mission Schweiz, bei der Bartholomäus-Kapelle in unmittelbarer Nähe des Burgdorfer Siechenhauses. Hier lebten bis 1798 Leprakranke. Ausserhalb der Stadt, ausgegrenzt vom Leben der Gemeinschaft.

Der 46-jährige Familienvater erzählt mir vom grossen Engagement der Lepra-Mission Schweiz. Das Hilfswerk kümmert sich seit über 110 Jahren um die «Aussätzigen». So nannte unsere Sonntagsschullehrerin Frau Galli vor bald 60 Jahren die Leprakranken. Gut erinnere ich mich, wie es mich schauderte, wenn ich an die Menschen dachte, die verstümmelt, schwerkrank und ausgestossen am Rande der Gesellschaft dahinvegetieren. Und mit einem mulmigen Gefühl erinnere ich mich an die dunkelhäutige Puppe, die mit dem Kopf nickte, wenn wir nach der Sonntagsschule unsere Batzen in ihr Kässeli steckten.

Markus Freudiger, Geschäftsleiter der Lepra-Mission Schweiz mit krankem Mann
Markus Freudiger beim Besuch in einem Spital, wo Leprakranke behandelt werden. (Foto: zVg)

Jährlich über 200 000 neue Leprafälle weltweit

Lepra, diese grässliche Krankheit, grassiert noch immer unter den Ärmsten der Armen. «Weltweit treten jedes Jahr etwa 200 000 neue Fälle auf», sagt Markus Freudiger «Und das hauptsächlich in Südost-Asien. Etwa in Indien, Nepal und Bangladesch. Ebenfalls betroffen sind Menschen in afrikanischen Ländern sowie in Brasilien. Dort steckten sich im vergangenen Jahr gegen 27 000 Menschen an.» In der Schweiz spielt Lepra keine Rolle mehr. Es gäbe nur ganz vereinzelte importierte Fälle, sagt Markus Freudiger. Warum die Lepra im 16. Jahrhundert bei uns praktisch ausgestorben ist, weiss niemand. Vermutet wird, dass der steigende Wohlstand und die besseren hygienischen Verhältnisse zu einem stärkeren Immunsystem führten. Und die Lepra deswegen verschwand.

Lepra ist keine leicht übertragbare Krankheit

Markus Freudiger erklärt mir, was denn die gefürchtete Infektion auslöst: «Es ist das Bakterium Mycobacterium leprae, das im Inneren der Zellen unseres Körpers leben kann. Es gibt Menschen, die den Lepra-Erreger in sich tragen, ohne dass die Krankheit ausbricht.» So erfahre ich, erste Symptome treten nur bei fünf bis zehn Prozent der Menschen auf, die mit dem Lepra-Erreger angesteckt sind. Und zwar in Form einzelner kleiner Hautflecken, die oft unbemerkt bleiben und von selbst wieder verschwinden können. Wenn die Lepra bestehen bleibt, können je nach individueller Immunreaktion verschiedene Krankheitsbilder entstehen. «Die schwerste Form ist die multibazilläre Lepra. Sie tritt auf bei fehlender Immunantwort und ist ansteckend.»

Angst vor einer Ansteckung hat Markus Freudiger nicht, wenn er Betroffene besucht. «Nein, das ist kein Problem. Lepra ist keine leicht übertragbare Krankheit. Sie überträgt sich nur bei längerem direkten Kontakt mit Leprakranken. Mehr als 90 Prozent der Menschen besitzen eine natürliche Resistenz. Auf meinen Reisen besteht also keine Gefahr einer Ansteckung. Ausserdem sind die Patienten, Patientinnen, die ich treffe, mit hochwirksamen Medikamenten behandelt. Schon nach den ersten Tabletten können sie niemanden mehr anstecken.»

Markus Freudiger, Geschäftsleiter der Lepra-Mission Schweiz
Markus Freudiger: «Wir sind eine christlich-humanitäre Organisation, die sich weltweit für die Beseitigung der Ursachen und Folgen von Lepra engagiert. Unser Ziel ist die Heilung und Integration der Ärmsten in die Gesellschaft.» (Foto: Ueli Hiltpold)

«Wir klären die Menschen über Lepra auf»

Die Lepra-Mission Schweiz kümmert sich primär um Menschen, die an Lepra erkrankt sind und um ihre Angehörigen. «Wenn Leprakranke zu spät behandelt werden, folgen schwerwiegende Behinderungen, Verstümmelungen und Amputationen», sagt Markus Freudiger. Das Fachwissen seines Teams im Bereich «Menschen mit Behinderungen» kommt ebenso Menschen zugute, die nicht an Lepra erkrankt sind. Es sind also die Ärmsten, die Hilfe erhalten. «Wir sind eine christlich-humanitäre Organisation, die sich weltweit für die Beseitigung der Ursachen und Folgen von Lepra engagiert. Unser Ziel ist die Heilung und Integration der Ärmsten in die Gesellschaft.»

Für Markus Freudiger und sein Team ergeben sich drei Aktionsfelder für ihr grosses Engagement. «Eines ist die Prävention», sagt der zweifache Familienvater. «Wir klären die Menschen über Lepra auf und beseitigen so Ängste und Vorurteile. Dann bieten wir medizinische Hilfe an in Spitälern und zum Teil in mobilen Kliniken. Die Betroffenen behandeln wir mit Medikamenten. Sie werden, wenn nötig, operiert und erhalten Physiotherapie. In eigenen Werkstätten produzieren wir Prothesen und Spezialsandalen, um die gefühllosen Füsse vor weiteren Verletzungen und Behinderungen zu schützen.»

Das dritte Aktionsfeld sei die Integration der Betroffenen in ihre Familien und in die Gesellschaft. Markus Freudiger: «Die Krankheit Lepra ist von einem starken Stigma begleitet», sagt der Geschäftsleiter des Hilfswerks Lepra-Mission Schweiz. «Betroffene werden geächtet und ausgestossen. Wir engagieren uns in der Aufklärungsarbeit, initiieren Selbsthilfegruppen, fördern Schul- und Berufsbildung, helfen den Leuten, sich zu integrieren.»

Markus Freudiger, Geschäftsleiter der Lepra-Mission Schweiz
Markus Freudiger: «In der Zeit nach der Diagnose versuchen wir, den Lebensmut der Leprakranken zu stärken.» (Foto: Ueli Hiltpold)

«Aussätzige» sind dankbar über jede Berührung

Hilfe erhalten alle Betroffenen. Egal, welcher Herkunft sie sind, welchen Glauben sie praktizieren oder welcher Volksgruppe sie angehören. «Wir leben die christliche Nächstenliebe», sagt Markus Freudiger und erläutert weitere Details: «In der Zeit nach der Diagnose versuchen wir, den Lebensmut der Leprakranken zu stärken und ermutigen sie, die medizinische Behandlung fortzusetzen, auch wenn keine Verbesserung spürbar ist. Danach versuchen wir, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und erarbeiten gemeinsam Zukunftsperspektiven. Während der gesamten Zeit bieten wir Seelsorge an und Gebete. Also im wahrsten Sinn eine ganzheitliche Hilfe.»

Diese ganzheitliche Hilfe erläutert Markus Freudiger mit einer Begegnung auf einer seiner Reisen. «In einem indischen Spital traf ich den Spitalseelsorger Pfr. Reddy. Am Morgen predigte er in der spitaleigenen Kapelle, am Nachmittag streifte er sich Gummihandschuhe über und wusch den Leprakranken die Wunden aus. Darauf angesprochen sagte er: ‹Ich mache das seit 10 Jahren, jeden Tag. Immer.› Und dann fügte er an: ‹Es sind nicht die Medikamente, also die Antibiotika, die die Menschen heilen. Es sind die Berührungen durch die Pflege. Sie heilen die Kranken.›»

Die Lepra-Mission erhält von Novartis kostenlos Antibiotika

Wir schweigen. Ich denke nach über Nächstenliebe, über Berührungen und über Hingabe. Markus Freudiger sagt: «Neben der Pflege und Zuwendung sind es Antibiotika, deren Wirkstoffe die Bakterien zerstören. Und die erhalten wir seit bald 20 Jahren kostenlos von Novartis. Das war dem damaligen CEO Daniel Vasella ein grosses Anliegen.»

Markus Freudiger, Geschäftsleiter der Lepra-Mission Schweiz mit DeinAdieu-Autor Martin Schuppli vor der Bartholomäus-Kapelle bei Burgdorf BE
Gespräch über Lepra, über Leben und Sterben. DeinAdieu-Autor Martin Schuppli mit Markus Freudiger, Geschäftsleiter der Lepra-Mission Schweiz. (Foto: Ueli Hiltpold)

Markus Freudiger: «Ich glaube, die letzte Reise endet bei Gott»

Mittlerweile sitzen wir auf dem Mäuerchen vor der Kapelle. Ich will von Markus Freudiger wissen, ob er sich fürchtet vor dem Sterben? Er schüttelt den Kopf. «Persönlich mache ich mir kaum Gedanken übers Sterben. Ich fürchte mich grundsätzlich nicht vor dem Tod. Bereits zwei Mal geriet ich in gefährliche Situationen, wo ich Todesangst verspürte. Das war höchst unangenehm.» Dann erzählte er mir, wie er mit seiner Frau und dem Erstgeborenen in der indischen Megastadt Kalkutta unter den Ärmsten gelebt und gearbeitet hatte. «Ich staune immer wieder, wie gelassen die Inder, Inderinnen das Leben und das Sterben nehmen. Diese Erfahrungen haben bei mir Spuren hinterlassen.»

Und, was denkt der weitgereiste Mann, kommt nach dem Tod? Ich frage: Markus, wohin führt uns die «letzte Reise»? Seine Antwort ist klipp und klar: «Ich persönlich glaube, dass ich zu meinem Schöpfer gehen werde. Gott verspricht uns in der Bibel ein Leben nach dem Tod.»

brennende Kerze
So wie das Licht dieser Kerze die Dunkelheit in der «Siecheli»-Kapelle in Burgdorf BE erhellt, so sorgt die Arbeit der Lepra-Mission bei Betroffenen für Zuversicht und Lebensmut. (Foto: Ueli Hiltpold)

«Sterben macht mir keine Angst. Ich weiss, wo ich hingehe»

Dann ist die Seelenwanderung kein Thema? «Nein, ich glaube nicht, dass meine Seele nach meinem Tod in einen anderen Körper wechselt. Meine Seele wird bei Gott sein. So, wie die Bibel beschreibt, ist das möglich durch Jesus Christus, durch den Glauben und die Vergebung.»

Zur Frage Organspende, antwortet Markus Freudiger klar mit Ja meine Organe würde ich spenden.

Ich frage weiter: Was machts mit dir, wenn du wüsstest, du würdest heute Nacht still, friedlich und ohne Schmerzen sterben? Wir schauen uns an. «Ich wäre traurig», sagt Markus und blinzelt in die Sonne. «Ich wäre traurig, wenn ich daran denke, meine Frau und Kinder stünden plötzlich da ohne mich. Meine Kinder sind noch schulpflichtig, und daher wäre der Zeitpunkt zu früh.» Er schweigt kurz, blickt mir in die Augen und sagt lachend: «Ich lebe sehr gerne und möchte mit meinen Lieben noch einiges erleben. Wie gesagt: Grundsätzlich habe ich keine Angst vor dem Sterben, da ich ja weiss, wohin ich gehen werde.»

Markus Freudiger zusammen mit «Fenster zum Sonntag»-Moderator Ruedi Josuran (r.) bei einem Besuch im nepalesischen Spital Anandaban.
Markus Freudiger zusammen mit «Fenster zum Sonntag»-Moderator Ruedi Josuran (r.) bei einem Besuch im nepalesischen Spital Anandaban. (Foto: zVg)

Facts und Zahlen
Jährlich werden über 6200 Leprapatienten im Spital in Anandaban (Nepal) behandelt.

3410 Leprapatienten in Indien können jährlich dank einer Augenoperation wieder sehen.

Weltweit führt die Lepra-Mission jedes Jahr rund 2000 Wiederherstellungs-Operationen durch.

Über 2000 Menschen in Leprasiedlungen im Niger erhielten in unserem Projekt Zugang zu Trinkwasser.

Die Lepra-Mission versorgt 18782 Leprabetroffene in Indien mit Spezialsandalen, um ihre Füsse zu schützen.

Die Lepra-Mission betreut weltweit 3300 Selbsthilfegruppen.

Das sind insgesamt mehr als 40 000 Menschen, die eine Chance auf einen Neuanfang erhalten.

Spenden
Mit 50 Franken finanzieren Spenderinnen, Spender einem Leprapatienten das Essen im Spital für einen Monat. Nahrhafte Mahlzeiten stärken die Erkrankten, die oft mangelernährt zur Lepra-Misson kommen.

Mit 100 Franken legen Spenderinnen, Spender bei Betroffenen den Grundstein für eine eigene Existenz, z.B. mit einem Mikrokredit für eine Kuh. Ein Teil der Milch verkauft der Besitzer, die Besitzerin und verbessert so das Einkommen.

Mit 300 Franken decken Sie die Kosten für eine Handoperation, damit Betroffene wieder greifen und schreiben können.

Nothelfer-Patenschaft
Um Leprakranken aus der Not zu helfen, setzen sich unsere medizinischen Fachleute täglich ein, oft unter Entbehrungen. Werden Sie Patin oder Pate eines Nothelfers in Nepal und übernehmen Sie eine Patenschaft ab 30 Franken im Monat. Mehr Informationen finden Sie auf unserer Webseite www.lepramission.ch/nothelfer

Evangelische Lepra-Mission
Bernstrasse 15A, Postfach 175
CH-3360 Herzogenbuchsee

Tel: +41 62 961 83 84 | info@lepramission.chwww.lepramission.ch

Spendenkonto: PC 50-16000-6 | IBAN CH15 0900 0000 5001 6000 6

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