«Für mich ist das Leben ein Fest»

Beatrice Tschanz kennt das Leben, das Sterben. Und sie spricht darüber. Über den Krebstod ihres Mannes. Über Halifax. Über ihren Umgang mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Über den Altersfreitod.

«Für mich ist das Leben ein Fest – mit allen Schwierigkeiten, die dazu da sind, bewältigt zu werden.» Das sagt Beatrice Tschanz. Kommunikations-Naturtalent. Fotograf Bruno Torricelli, sie und ich, wir kennen uns aus vergangenen Ringier-Tagen. Fröhlich und neugierig ist sie, die Bea. Wie einst. Vor knapp 40 Jahren.

Sie sagt, das Leben sei ein Fest. Dazu gehörten Schwierigkeiten, die es zu bewältigen gebe. Wahrlich. 

Schwierigkeiten gab es einige im Leben der Journalistin, der Unternehmenssprecherin, der Krisenkommunikatorin, der Verwaltungs- und Stiftungsrätin, der «Pink Ribbon»-Botschafterin. Nur zu gut kennt sie, wie einen Krankheiten und Todesfälle im engsten Umfeld oder im Berufsleben herausfordern können. 

Beatrice Tschanz, Kommunikationsfachfrau
Beispielhaft sei es gewesen, sagen Fachleute, wie Beatrice Tschanz im September 1998 den Absturz Swissair-MD-11 vor der kanadischen Küste kommunizierte. «In der Krise gibt es nur einen Weg. Lückenlose Aufklärung und offensive Kommunikation», sagt die damalige Pressesprecherin der Airline. (Foto Bruno Torricelli)

Ihre Menschlichkeit, Ehrlichkeit und Empathie beeindrucken

Fällt der Name Beatrice Tschanz, verknüpfen wir ihn mit einem Ereignis: Am 2. September 1998 stürzt Swissair-Flug 111 nahe der kanadischen Stadt Halifax ins Meer. 229 Insassen sterben. Die Nation war geschockt. Die Swissair gefordert. Und diese Frau, damals Pressesprecherin der Airline, stand vor Kameras und Mikrofone, zeigte Emotionen und informierte. «In der Krise gibt es nur einen Weg. Lückenlose Aufklärung und offensive Kommunikation. Ich gab jeden gesicherten Fakt sofort raus. Das war das Neue», sagte sie damals einem Journalisten der Finanz&Wirtschaft. 

In der NZZ stand: «… Beatrice Tschanz verleiht der Tragödie ein Gesicht.» Und die Bilanz schrieb fünf Jahre später: «… Beatrice Tschanz kann kommunizieren. Dahinter stecken Ehrgeiz und Leistung und etwas, wofür sie wenig kann: Menschlichkeit. … »

Das ist er, der Zauber, der Beatrice Tschanz umgibt. Ihre Menschlichkeit, ihre Ehrlichkeit, ihre Empathie. Wer würde ihr nicht sein Leben anvertrauen? Und sie, sie spricht mit uns über Leben und Tod. Etwa über das Sterben der Eltern. «Als mein Vater eines natürlichen Todes starb, war ich noch jung. Unbeschwert vielleicht. Ich meisterte den Verlust und spürte erst Jahre später, wie er mir fehlt.» Die Mutter starb 80 Jahre alt. «Ich denke oft an sie, an die beiden. Denke, ich möchte mit ihnen telefonieren.» 

Beatrice Tschanz, Kommunikationsfachfrau
Die Auseinandersetzung mit der letzten selbstbestimmten Lebensphase muss sein. Beatrice Tschanz sagt: «Setzt euch damit auseinander. Redet darüber, denkt darüber nach.» (Foto Bruno Torricelli)

«Schicksalsschläge sind da, um bewältigt zu werden»

Eine Geschichte, die bei Beatrice Tschanz Spuren hinterliess, erlebte sie beim Blick. «29 Jahre alt war ich und musste eine Sekretärin verpflichten. Ich stellte eine junge Frau an. Sie war vom Schicksal nicht begünstigt. Nach einem halben Jahr eröffnete sie mir Folgendes: ‹Ich muss ins Spital›. Sie erwähnte, sie hätte niemanden, wäre ein Waisenkind.» Betroffen schaut uns Bea an. «Ich dachte, das kann nicht sein und realisierte, dass ein junger Mensch ebenso schwer krank werden kann.» Die Frau lag monatelang im Unispital, wurde immer schwächer und starb mit 28 Jahren. «Niemand konnte das verhindern», sagt Bea. «Das fuhr mir ein.»

Schicksalsschläge sind Schwierigkeiten, die wir bewältigen müssen. Bei Beatrice Tschanz diagnostizierten Ärzte 1985 Gebärmutterkrebs. Sie habe es erstaunliche locker weggesteckt, sagt sie. Habe die Operation ertragen, die Chemo, den Haarausfall. In einem Interview mit dem «Blick» sagte sie: «… es war für mich das Beste, den Krebs nicht an mich ranzulassen. … Ich hatte viel Glück. Die Krankheit habe ich überstanden. Seither gehe ich sorgfältiger um mit dem Leben. Ich engagiere mich für die Krebsprävention als Botschafterin des Pink Ribbon Walk und bei der Krebsliga.»

Beatrice Tschanz blieb die fröhliche Bea. «Ich bin Anhängerin des positiven Denkens. In jeder Situation.» Aber dieses Lebensmotto geriet ins Wanken, als ihr Mann Pierre 1999 erkrankte. «In der Halifax-Zeit kochte er für mich, unterstützte mich, wo er konnte. Ein Jahr später wurde er krank. Damals erlebten wir die erste Krebswelle.» Von den Ärzten, Ärztinnen erwartete Bea grosse Offenheit. Und so sagten die Onkologen, es sei hoffnungslos. «Pierre war ein Kämpfer und wollte noch leben.» Ein halbes Jahr brauchte der Kranke, sein absehbares Ende zu akzeptieren. 

«Mein verstorbener Mann fand Halt im Glauben»

«Wir redeten in diesen Monaten viel über den Tod, das Sterben. Für Pierre hatte der Tod keinen Schrecken. Er fand Halt im Glauben. Ich hingegen habe mit der Religion nichts am Hut. Pierre hatte dafür Verständnis. Im Gegensatz zu anderen Leuten. Die sagen: ‹Du wirst noch sehen, dass dir was fehlt.›» 

Sie hats geschafft, krabbelte aus dem Loch. Die Auseinandersetzung mit der letzten selbstbestimmten Lebensphase muss sein. Beatrice Tschanz sagt: «Setzt euch damit auseinander. Redet darüber, denkt darüber nach.»

Beatrice Tschanz, Kommunikationsfachfrau
«Ich hatte viel Glück», sagt Beatrice Tschanz. «Die Krebs-Krankheit habe ich überstanden. Seither gehe ich sorgfältiger um mit dem Leben. Ich engagiere mich für die Krebsprävention als Botschafterin des Pink Ribbon-Walk und bei der Krebsliga.» (Foto Bruno Torricelli)

Lebenssatte Menschen sollte würdevoll sterben dürfen

Nachdenklich stimmt Beatrice Tschanz unser Umgang mit lebenssatten Menschen. In einer Arbeitsgruppe setzt sie sich ein, für einen liberaleren Umgang mit dem Altersfreitod. «Will jemand im hohen Alter seinem Leben ein Ende setzen, muss das möglich sein, erlaubt und straffrei.» 

Meinen Einwand, alte Menschen würde dann meinen, sie müssten sich das Leben nehmen, wischt sie vom Tisch. «Das ist Blödsinn. Es geht um die Würde.» Tatsächlich kann es nicht sein, dass eine 90-jährige Frau, die Mutter eines Freundes, an einem Januarmorgen verzweifelt in die eiskalte Limmat steigt. Des Lebens satt muss sie gewesen sein. Sie hatte Angst vor der Zukunft.» 

Da machte es Heinrich Oswald, ehemaliger Ringier-Chef, anders. Beatrice Tschanz: «Er trat 1984 in den Ruhestand und schied 2008, 90-jährig, mit Hilfe einer Sterbehilfeorganisation freiwillig aus dem Leben. Würdevoll.» 

Redet über die selbstbestimmte letzte Lebensphase 

Und diese Würde des Menschen soll unantastbar sein. Beatrice Tschanz schüttelt den Kopf. «Das stimmt nicht. Wenn Ärzte, selbst in hoffnungslosen Fällen, noch alle möglichen lebensverlängernden Massnahmen einleiten, stimmt meiner Meinung etwas nicht.» Deshalb, findet sie, sollte sich jede, jeder darum kümmern, wie die letzte selbstbestimmte Lebensphase aussehen soll. «Wir sollten wissen: Was will ich, was ist mir wichtig.»

Beatrice Tschanz’ Werteanamnese sei klar. Ein Beispiel: Würde bei ihr ALS diagnostiziert, «will ich gehen. Sofort.» Selbstverständlich respektiere sie andere Meinungen. So geschehen im nächsten Umfeld. «Da ist jemand sehr, sehr krank und EXIT kein Thema. Die Hoffnung sterbe zuletzt, heisst es.» 

Beatrice Tschanz liebt das Leben, liebt die Menschen. «Einspruch», ruft sie und lacht. «Alle liebe ich dann nicht.» Aber den einen. Herbert Kramels Heiratsantrag konnte sie nicht widerstehen. Im Oktober 2003 heiratete sie den Architekten und Hochschul-Professoren. «Mein Mann und ich sind Gegensätze. Er macht sich lustig über meinen grenzenlosen positiven Lebensmut, und ich necke ihn wegen seiner Schwermut, die den Österreichern eigen sein soll.»

Beatrice Tschanz, Kommunikationsfachfrau, DeinAdieu-Autor
Vor bald 40 Jahren war Bea Tschanz die «Chefin» von DeinAdieu-Autor Martin Schuppli. Gefragt, ob wir eine Pflicht zu Leben hätten, sagte sie: «Wir haben eine Pflicht dem Leben gegenüber. Und das soll man feiern.» (Foto Bruno Torricelli)

«Angst? Nicht vor dem Tod. Höchstens vor Schmerzen»

Angst vor dem Tod hat sie keine. «Ich finde, er ist der logische Schlusspunkt eines Festes. Wenn ich Angst habe, dann vor Schmerzen.» Sonst fürchte sie sich vor nix und niemandem. «Als Kind machten mir nicht mal grosse Hunde Angst.» Sie sagt, ihrer Meinung nach habe Angst viel mit Verunsicherung zu tun. «Ich bin mit mir im Reinen. An ein Leben nach dem Tod glaube sie nicht. «Obwohl ich gerne über den Buddhismus gelesen habe. Ich erhielt dieses eine Leben und mache was draus. Geniesse es, feiere mein Fest.»

Text: Martin Schuppli, Fotos: Bruno Torricelli

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