Edith Wolf: «Dem Tod begegne ich mit Würde und Respekt»

Edith Wolf, geborene Hunkeler, versprüht Lebensfreude. Seit 22 Jahren lebt sie im Rollstuhl. Unbeschwert unterhielt sie sich mit DeinAdieu-Autor Martin Schuppli.

Dieses sonnige Gemüt kann sich niemand antrainieren. Das kann niemand spielen. So ein Lachen, so viel Fröhlichkeit wird einem in die Wiege gelegt. Und weil dieses Lachen, diese Fröhlichkeit so vielen Menschen Zuversicht und Hoffnung schenkt, kehrte die Lebensfreude zurück, obwohl das Schicksal unerbittlich zugeschlagen hatte.

So passiert bei Edith Wolf, ledige Hunkeler. Bekannt als berühmteste Rollstuhlsportlerin der Schweiz. Die Luzernerin erlitt bei einem Unfall vor über 8290 Tagen, genau am Dienstagmorgen, dem 22. Februar 1994, eine Querschnittslähmung. Ist seither an den Rollstuhl gefesselt. Sagt: «Ich werde nie mehr aufstehen können.»

Sie weiss, mit Veränderungen umzugehen

Wer denkt, das Gespräch würde jetzt traurig, es nehme eine peinliche Wendung, der irrt. Edith Wolf lacht weiter. Strahlt. Erzählt von ihrer Tochter Elin, von Ehemann Mark. Sie redet über den Bau ihres Hauses im Wiggertal, über das Leben als Rollstuhlsportlerin. Sie redet über das Weiterleben nach dem Rücktritt vom Spitzensport und über ihre selbstständige Tätigkeit als Referentin. «Oft spreche ich über den Umgang mit Veränderungen im Leben – am Beispiel meiner Lebensgeschichte», sagt Edith Wolf. «Weitere Themen sind Selbstdisziplin, Motivation, Zielsetzung, Emotionen, mentale Stärke.»

Rezepte, wie jemand einen Schicksalsschlag verarbeiten soll, will Edith Wolf keine erzählen. «Ratschläge zu erteilen ist unglaublich schwierig, jeder Mensch fühlt anders. Wichtig ist, dass man zuhört und versucht, zu verstehen. »

«Für kurze Zeit verlor ich mein Lachen»

Die erste Zeit im Rollstuhl war nicht einfach. «Für eine kurze Zeit verlor ich mein Lachen. Aber die Realität kehrte zurück. Ich merkte, das Leben ist lebenswert. Mir wurde bewusst, ich bin gut aufgehoben inmitten der Familie, der Freundinnen und Freunde.»

Das Leben kurz nach dem Unfall war für Edith Wolf ein Ritt durch Wellentäler. «Es geht nicht jeden Tag aufwärts. Im Gegenteil. Manchmal änderten sich die Aufs und Abs im Minutentakt.»

Edith Wolf schildert die Zeit der ersten Ausfahrten im Rollstuhl, redet über das Gefühl, wenn sie die Spezialhandschuhe angezogen und sich in den Rennrollstuhl gesetzt hat. Sie redet über den sportlichen Erfolg, über die vier Weltmeistertitel, die beiden Goldmedaillen an den Paralympics, über die unzähligen Höhepunkte.

Zuversicht kommt von innen

Das Gespräch ist spannend und landet irgendwann bei den Begriffen Hoffnung und Zuversicht. Edith Wolf denkt nach. «Stimmt, es ist nicht dasselbe», gibt sie dem Chronisten recht. «Hoffnung hat mit etwas ausserhalb zu tun. Zuversicht kommt von innen.» Beides dürfe man nie verlieren, sagt sie. «Die Blume blüht, so lange sie Wasser erhält. Sie braucht Liebe.»

Und die Liebe ist ein wichtiges Gut im Leben von Edith Wolf. Die Liebe zur Tochter Elin etwa: «Sie war schon von Klein auf sehr hilfsbereit, und ihre Art ist einfach bezaubernd.» Oder die Liebe zu Ehemann Mark: «Wenns sein muss, trägt er mich huckepack über Hindernisse, die wir Rollstuhlfahrer nicht überwinden können. Auf ihn kann ich mich verlassen, und er kann auf mich zählen.»

Die Liebe, diese Liebe, gilt es zu erhalten. «Darum knallen bei uns keine Türen und es schläft niemand ein, ohne dem andern eine gute Nacht gewünscht zu haben», sagt Edith Wolf. «Es könnte ja sein, dass einer von uns nicht mehr heimkommt oder am Morgen nicht mehr aufwacht.»

«Ich weiss, dass jedes Leben ein Ende haben muss»

Gespräche über den Tod, über das Sterben sind der jungen Frau nicht fremd. «Wir sassen alle am Sterbebett, als mein Vater 68-jährig starb. Und ich begleitete meinen Onkel auf seinem letzten Weg.» Der Tod sei faszinierend, sagt sie. «Ich begegne ihm mit Würde und Respekt. Und ich weiss: Jedes Leben geht zu Ende. Muss ein Ende haben.»

«Ich spürte es, als mein Onkel starb»

Edith Wolf sass stundenlang am Bett ihres Onkels. Sie hatte, im Gegensatz zu anderen, keine Angst die Sterbephase zu erleben. «Im Gegenteil. Ich wurde ruhig. Mein Onkel wurde ruhig. Und als es soweit war, als der Tod kommen wollte, roch ich ihn, sah die beginnende Marmorierung auf den Beinen, und ich spürte, dass mein Onkel alleine sterben wollte. Ich sagte ihm, dass er gehen dürfe. Wir ihn ziehen lassen. Dann verliess ich den Raum, und unsere Herzen wurden schwer. Wir, ich und mein Bruder, wir spürten es, als er starb.»

Beim Vater war es anders. Edith Wolf verbrachte den letzten Morgen alleine mit ihrem Vater, und für diese Zeit, sagt sie, sei sie unheimlich dankbar. «Wir spürten, dass er sich bald verabschieden würde. Alle Kinder und Grosskinder waren zu Hause, um Abschied zu nehmen. Wir waren traurig, weinten, und es fühlte sich an, als würde nichts wichtiger sein als dieser Moment. Es war berührend, aber auch unendlich traurig.

Edith Wolf Hunkeler, Rollstuhlsportlerin
Edith Wolf Hunkeler, Rollstuhlsportlerin redete mit DeinAdieu-Autor Martin Schuppli über leben und sterben. Über Liebe und Tod. Über Freud und Leid. (Foto: Daniela Friedli)

Zuversicht gehört zum Leben, wie der Tod

Einige Tage später, an der Bestattung des Vaters, verlas Edith Wolf in der Kirche den Nachruf. «Ich dachte nie, dass ich das schaffen würde. Ich weinte bitterlich und bat ihn, mir zu helfen, wenn es ihm wichtig sei – und er gab mir die nötige Kraft.»

Kraft geben, Kraft nehmen. Wie in all unseren Leben geht es auch bei Edith Wolf auf und ab. Für den Chronisten ist sie eine Art Vorbild. Wer ihr Lachen erlebt, schöpft Zuversicht. Und die Zuversicht, die gehört zum Leben wie der Tod.

Webseite von Edith Wolf Hunkeler www.edith.ch

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6 Antworten auf „Edith Wolf: «Dem Tod begegne ich mit Würde und Respekt»“

Schorta Mario sagt:

Danke für den wunderschönen Bericht!

Nathalie Herren-Bossart sagt:

Sehr berührend…

Petra Vocat sagt:

Wunderschön zu lesen und gleichzeitig das Gefühl zu haben als sässe Frau Wolf einem gegenüber…

Sabine Shah sagt:

Ein toller Artikel! Sehr einfühlsam verfasst und eine tolle Grundaussage, welche die Kraft und innere Stärke so schön zu Geltung kommen lässt.

Rita Schwager sagt:

Offen, ehrlich, hinterfragt und betrauert, so ist auch meine Einstellung zum Tod
Er, der Tod muss ein Thema sein im Leben, sonst kann man nicht bereit sein, wenn es soweit ist

Tamara Geissbühler sagt:

wow

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