Schicksalsschlag: Der Tod ihres Babys zerstörte fast die Beziehung

Wenn Eltern ein Kind in seiner frühesten Lebensphase verlieren, ist der Schmerz riesig, das Leid unendlich gross, die Trauer nur schwer zu bewältigen. Und doch geht das Leben weiter. Unerbittlich. Schicksalsschlag hin oder her.

«Ja, es ging weiter. Mein Leben, unser Leben», sagt Tanja. «Aber wie. Die Beziehung zwischen Christian und mir geriet aus den Fugen. Drohte zu zerbrechen.» Ein Schicksalsschlag.

Beginnen wir von vorn, im Jahr 2008. Tanja, damals 30 Jahre alt, wurde schwanger. Sie war seit fünf Jahren mit Christian, damals 34, zusammen. «Ich erwartete ein Wunschkind», sagt Tanja, Heilpädagogin von Beruf. «Wir, und nur wir beide, wussten, es wird ein Bub. Er sollte Livio heissen.»

In der 34. Woche der Schwangerschaft, kurz nach Beginn des neuen Jahres, spürte Tanja, «etwas in meinem Bauch stimmt nicht mehr.» Die weibliche Intuition liess sie nicht im Stich. «Wir wohnten damals neben dem Spital, und rasch war klar, dem Kind gehts nicht gut.» Ein Notkaiserschnitt sollte sein Leben retten. Und das ausgerechnet am Geburtstag seiner Gotte, der Schwester von Tanja. Sie sagt: «Für Fabienne ist der Geburtstag das grösste Fest des Jahres, und genau dieses Datum suchte unser Bub aus, um zur Welt zu kommen.»

Livio schien gesund und stark

Einen Tag später verliess er sie wieder. Unbegreiflich für alle. «Die Schwangerschaft war unproblematisch. Livio schien gesund und stark, er hatte richtig dicke Backen», erzählt Tanja. «Niemand sah ihm an, wie schlecht zwäg er war.»

24 Stunden schenkte das Schicksal den leidgeprüften Eltern. Am 16. Januar 2009 starb der heiss ersehnte, geliebte Sohn in den Armen des Vaters, kurz nach der Nottaufe. «Ich trug das Kind Monate lang unter dem Herzen, und deshalb wünschte ich mir, dass Christian ihn hält, wenn die Maschinen abgestellt werden.»

Warum Livio sterben musste, fand niemand heraus. «Wir durften ihn noch drei Tage bei uns behalten, aufbahren und warten, bis meine Schwester ihn sehen konnte. Sie war am anderen Ende der Welt und reiste überstürzt heim.» Drei Tage nach seinem Weggang wurde der kleine Körper obduziert. Das Ergebnis der Autopsie half den trauernden Eltern nicht weiter. «Nach dem Kaiserschnitt versagten seine Organe», sagt Tanja. «Mehr wissen wir nicht».

Und wie ging das Leben weiter? «Wir wussten sofort, wir wollen wieder ein Kind. Darum liessen wir die Autopsie machen, denn wir hofften, zu erfahren, was der Grund für sein Sterben war. »

Das Leben von Tanja und Christian war komplett auf den Kopf gestellt. Aus den Fugen geraten. «Logisch fragten wir uns, warum das geschehen ist. Warum gerade unser Kind sterben musste. Wir hatten das Gefühl, wir seien die Einzigen, die so etwas Schlimmes erlebt hatten. Schliesslich hatte ich die verflixte 24. Woche überstanden, hatte nie Beschwerden», sagt Tanja. «Nadisna wurde mir klar, dass wir nicht die Einzigen sind.» Sie schweigt. Schüttelt den Kopf. «Mein Urvertrauen war tief erschüttert.»

Geholfen hat Tanja eine «Super-Hebamme im Spital. Sie erzählte uns von der Fachstelle Kindsverlust.ch, sagte mir, wie wichtig ein Rückbildungskurs für mich wäre.» Der Weg nach Bern war der trauernden Mutter zu weit. «Ich besuchte einen Kurs in Basel. Freudlos. Mein Körper war mir egal. Ich nahm keine Rücksicht wegen des Kaiserschnitts.»

Wichtiger war ihr die Beziehung zu Christian. «Ich sagte ihm, ‹gäll, wir packen das zusammen›.» Das war schneller gesagt, als wirklich getan. Denn der Tod des Sohnes warf ihn ebenso aus der Bahn. «Damals konnte er traurig sein, mein Mann. Konnte seinen Schmerz zeigen», sagt Tanja. «Er blieb zwei Wochen zu Hause. Zusammen konsultierten wir eine Psychologin, liessen uns helfen.» Sie unterbricht das Gespräch kurz. Hält inne und sagt dann. «Mir tat die Hilfe gut. Christian ging wieder arbeiten, ich ebenfalls.»

Grosse Angst bei Felicias Geburt

Das ging so, bis Felicia zur Welt kam. Es war an einem Freitag. Am 27. August 2010 erblickte die Tochter von Tanja und Christian das Licht der Welt. «Mit einem geplanten Kaiserschnitt. Ich wollte keine normale Geburt erleben. Hatte grosse Angst, dem Kind könnte etwas passieren.» Darum kam für Tanja nur ein geplanter Kaiserschnitt in Frage.

Alles gut? «Ja, dann schon», sagt Tanja. «Die zweite Schwangerschaft erlebte ich als extrem schwere Zeit. Obwohl es ein bewusster Entscheid war, dieses Kind zu zeugen, begannen zu Beginn dieser neun Monate unsere grossen Beziehungsprobleme.»

Viele Ängste kamen hoch. Jeder Glaube fehlte zeitweise, jede Zuversicht. Tanja sagt: «Niemand konnte mir garantieren, dass es nicht ein zweites Mal passiert? Das Schicksal wieder zuschlägt.»

Kurz vor der Fasnacht 2010 war klar, Tanja ist wieder schwanger. In diesem Jahr konnte nur Christian den Zauber der «drey scheenschte Dääg» geniessen. Seine Frau sagt: «Er haute auf den Putz, schaute nur für sich. Das war untypisch. Christian merkte, dass er sich im Trauerjahr zu wenig um sich selbst gekümmert hatte. Das kam dann nadisna aus.»

Ein Problem vieler Sternli-Väter: Sie meinen, sie müssten zu den trauernden Müttern schauen. Stark sein. «Dabei wollte ich das gar nicht», sagt Tanja. «Schlimm. Wir fragten uns, wie es so weit hatte kommen können».

Christian landete voll im Chaos von Leid, Trauer und Emotionen. Er war sich gar nicht mehr sicher. Fragte sich, ob die Liebe zu Tanja noch stimme, ob sie ein Paar bleiben sollen, ob er weiterhin zusammen leben will mit ihr? Diese Verzweiflung und Ohnmacht spürte die schwangere Frau. «Ich fühlte mich alleine. Wenn ich mir vorstellte, dass wir uns nun trennen würden, tat sich der Boden auf, ich dachte, das geht nicht. Bei der Schwangerschaft mit Livio war er an meiner Seite. Jetzt kann er mich nicht allein lassen. Ohne ihn will ich doch kein Kind.» Sie hält kurz inne, sagt dann: «Ich verstand ihn nicht. Wusste nicht, warum er in die Krise geschlittert war.»

«Diese Schwangerschaft konnte ich nicht geniessen»

Tanja kämpfte. Sie kämpfte um ihn, kämpfte um die Partnerschaft, kämpfte um den Vater ihrer ungeborenen Tochter. «Ich holte Hilfe, hatte meine Psychologin, stürzte in eine Depression. Nein, es war keine tolle Schwangerschaft, ich konnte mich nicht freuen, konnte mich nicht um die ungeborene Felicia kümmern, konnte nicht für sie da sein, konnte die Schwangerschaft mit ihr nicht geniessen.»

Logisch nahm Tanja öfter Kontrolltermine war als bei der ersten Schwangerschaft. Christian begleitete Tanja zu jedem Termin bei der Gynäkologin. Das Chaos der Gefühle legte sich nicht.

In den Sommerferien wollte Tanja Klarheit. «Ich begleitete eine Freundin mit ihren Zwillingen ins Tessin», sagt sie. «Wir blieben eine Woche weg. Ich liess ihn in Ruhe. Fragte ihn nicht ständig, warum. Mein Umfeld verschonte ihn ebenfalls und redete nicht mehr auf ihn ein, stellte keine Fragen. Bevor ich verreiste, sagte ich ihm noch, wenn du merkst, dass es nicht stimmt für dich, dann sag es mir.»

Es stimmte tatsächlich nicht für Christian. «Kurz vor der 34. Schwangerschaftswoche, meldete er sich bei mir. Wir machten ab. Redeten», sagt Tanja. Sie strahlt. «Und ich merkte, Christian ist wieder bei mir, ist mir nahe, wir sind ein Paar. Alles ist wieder gut.»

Gefühlschaos nach Schicksalsschlag

Trotzdem musste sich Christian rechtfertigen, musste sein Gefühlschaos erklären. «Einige schüttelten den Kopf», sagt Tanja. «Meine Freundinnen waren so was von sauer.» Sie macht eine Pause. Der Autor weiss, was nun folgt. «Und ich, ich verteidigte ihn überall. Nahm ihn in Schutz. Argumentierte. Erklärte mich, erklärte sein Verhalten und meine Reaktion. Genau so, wie ich Wochen zuvor erklärt hatte, warum ich ihn nicht ganz gehen lassen wollte.»

Tanja ist sichtlich stolz auf ihren Mann. «Stell dir vor, er stand vor meine Familie, und erklärte, was ihn so ins Chaos gestürzt hatte. Warum er alles in Frage gestellt hatte. Klar blieb bei den einen etwas Unverständnis zurück. Aber im Grossen und Ganzen glätteten sich die Wogen rasch. Mein Umfeld reagierte mit viel Verständnis und riesiger Betroffenheit. Alle rechneten sie es ihm hoch an, wie er nun zurückgekehrt war.»

Schicksalschlag. Felicia Zeichnung
Felicia vermisst ihren älteren Bruder ganz fest, sie ist traurig, sie hätte ihn so gern hier. Für diese DeinAdieu-Geschichte zeichnete sie sich und Livio.

Felicia kam gesund und munter zur Welt, alles war gut. «Bis auf die Tatsache, dass ich sie nicht so gut stillen konnte. Das Buschi, sagte die Hebamme, nehme nicht so zu, wie es sollte.» Tanja wollte ihr Kind nicht auf die Neonatologie geben. «Deshalb musste ich sie schöppelen und hatte ein schlechtes Gewissen. Mich plagten Schuldgefühle. Obwohl ich gemeint hatte, ich hätte sie weggelegt. Aber es gibt wohl Dinge, die niemand weglegen kann. Es gibt Dinge im Leben, die wir nicht beeinflussen können, wir können nichts ändern.»

Und so kehrten die Liebe zurück – und das Leben. Tanja strahlt vor Glück.

Text: Martin Schuppli | Fotos Peter Lauth


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2 Antworten auf „Schicksalsschlag: Der Tod ihres Babys zerstörte fast die Beziehung“

Christine Friedli sagt:

Lieben Dank Tanja & Christian, dass ihr eure Geschichte mit uns teilt. Am Ende der Geschichte zu lesen, dass es ein HappyEnd gibt ist wunderschön. Ist es doch nicht selbstverständlich nach dem Verlust eines Kindes.
Dir,lieber Martin, herzlichen Dank für‘s schreiben. Berührend schön. Danke.

Brigitta Mamafuma Fumagalli-Benz sagt:

scheen verzellt und scheen gschriebe. Es wird aim bewusst, dass Mamis und Babbis ebbe verschiede truure… und wenn mer das nit waiss, denn kha mer sich ammigs nimm richtig verstoh❤ y by sehr froh, dass es eych und dr Felicia guet goht. s Vermisse wird halt immer do sy…gäll?
hebet e gueti Wyehnachtszyyt… y umarm eych alli 3?❤?

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