Statt Palliativbetreuung zahlen Kassen lieber Chemotherapien

In der TV-Sendung «10 vor 10» vom 1. Februar 2016 äusserte sich Palliativmediziner Dr. med. Roland Kunz zum Thema Kostenübernahme durch die Krankenkassen.

Für DeinAdieu nimmt Roland Kunz  zu diesem Thema noch einmal Stellung:

Grundsätzlich muss die Krankenkasse die Kosten der Palliativbehandlung für grundversicherte Patienten in einer Palliativstation gemäss KVG übernehmen, sofern Spitalbedürftigkeit besteht. Das heisst, der Patient, die Patientin ist in einem instabilen, komplexen Zustand und hat rund um die Uhr Bedarf an ärztlicher Behandlung.

Dr. med. Roland Kunz
Dr. med. Roland Kunz,Geriatrie + Palliativmedizin FMH. Chefarzt Universitäre Klinik für Akutgeriatrie am Stadtspital Waid in Zürich. Er gilt in der Schweiz als einer der führenden PalliativeCare-Pioniere. (Foto: Bruno Torricelli)

Bei Helsana haben wir keine Probleme. Da gibt es andere Krankenkassen, die machen uns das Leben schwer, sobald wir deklarieren, dass jemand auf der Palliativstation liegt. Sie verlangen schon bei einem zweitägigen Aufenthalt eine ausführliche Begründung. Wollen genau wissen, ob der Patient spitalbedürftig sei. Wenn wir ihn statt auf der Palliativstation auf der Onkologie aufnehmen, gibt es keine Probleme.

Einmal mehr nehmen Entscheidungsträger grundsätzlich an, dass palliativ bedeutet: ‹Da kann man nichts mehr machen. Der Patient, die Patientin gehört in ein Pflegeheim.›

Anders ist es bei Zusatzversicherungen. Wer Prämien für halbprivate oder private Leistungen zahlt, tut gut daran, das Kleingedruckte genau zu lesen. Hier sind die Krankenkassen frei, zu schreiben, dass Palliativleistungen ausgenommen sind. Der Patient weiss nichts davon und wird entsprechend überrascht. Das haben wir schon öfter angetroffen.»

Krankenversicherer Helsana: «Wir unterstützen Palliative Care, weil sie Leiden lindert»

Interview mit Oliver Reich, Leiter der Abteilung Gesundheitswissenschaften bei Helsana.

Herr Reich, warum ist Palliative Care für andere Krankenkassen ein «rotes Tuch».
Oliver Reich, Leiter Gesundheitswissenschaften bei Krankenversicherer Helsana (lächelt): Das müssen Sie die anderen fragen.

Die Helsana ist einer der wenigen Krankenversicherer, die Palliative Care-Behandlungen gleich wie andere Behandlungen finanziert. Warum?
Oliver Reich: Die Helsana schloss Verträge ab mit Leistungserbringern, die einen Leistungsauftrag für Palliativ Care-Behandlungen haben. Bei allen anderen Institutionen können wir ebenfalls keine Leistungen vergüten.

Sobald ein Leistungserbringer einen Leistungsauftrag hat …
… verhandeln wir die Tarife und übernehmen die Leistungen.

 Sie finanzieren zusammen mit der Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW sogar einen neuen Lehrstuhl für Palliativmedizin an der Uni Bern. Aus welchen Beweggründen?
Aus Sicht von Helsana soll Palliative Care als fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung gefördert werden, denn sie trägt dazu bei, die Lebensqualität trotz schweren Krankheiten zu erhalten. Palliative Care verbessert unseren Umgang mit unheilbaren Krankheiten und dem Sterben. Wir wissen auch, dass viele Menschen in den eigenen vier Wänden sterben möchten.

Das geschieht viel zu selten.
Ja leider. Das evaluierten wir in eigenen Studien. Das Fachgebiet Palliative Care soll mittelfristig zu einem festen Bestandteil der Medizin in der Schweiz werden. Mit der Stiftungsprofessur will Helsana einen Beitrag dazu leisten, dass Palliative Care in der Forschung und Lehre verankert wird. Hier gibt es noch viel zu tun. Der Umgang mit Schwerkranken ist auch für Mediziner sehr schwierig sowie belastend und muss entsprechend frühzeitig gelernt werden.

Rechnet es sich für einen Krankenversicherer, wenn Patienten, Patientinnen friedlich und gut betreut sterben dürfen, statt mit aller medizinischer Kunst am Leben erhalten werden?
Für die Helsana geht es hier primär um den Menschen und nicht um Zahlen. Wir unterstützen Palliative Care, weil sie Leiden lindert, indem sie Menschen mit unheilbaren, lebensbedrohlichen – oder chronisch fortschreitenden – Krankheiten betreut. Palliative Care macht dies ganzheitlich unter Berücksichtigung der körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimensionen. Palliative Care ist bedürfnisorientiert, sowohl bezüglich der betroffenen Patientinnen und Patienten sowie den ihnen nahestehenden Bezugspersonen.

Gemäss KVG muss der Krankenversicherer die Kosten der Palliativbehandlung für grundversicherte Patienten in einer Palliativstation übernehmen, sofern Spitalbedürftigkeit besteht. Ist die Frage nach der Spitalbedürftigkeit ein Thema?
Die Frage der Spitalbedürftigkeit ist bei jedem stationären Aufenthalt zu prüfen. Bei einem Aufenthalt in einer Palliativstation ist die Spitalbedürftigkeit in jedem Fall bereits gegeben. Fällt uns eine Diskrepanz aufgrund der Rechnungen oder Berichten auf, klären wir gezielter ab.

Brauchen privat- oder halbversicherte Patienten eine spezielle Palliative Care-Zusatzversicherung.
Nein. Bereits im Rahmen der Grundversicherung leistet Helsana Kostenbeiträge für Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die ambulant, bei Hausbesuchen, stationär oder in einem Pflegeheim durchgeführt werden.

Und was zahlt Helsana aus den entsprechenden Zusatzversicherungen?
Beiträge an die Pflege sowie an medizinische Behandlungen in anerkannten Palliative Care-Institutionen.

Bezahlt Helsana beispielsweise den Aufenthalt auf einer Palliativstation ohne Nachfragen nach Sinn und Zweck?
Im Rahmen des Kostengutsprachegesuchs informiert uns der Leistungserbringer bereits über die Gründe. Bei Unklarheiten fragen wir nach.

Was sind die Ausschlussbestimmungen? Ist ein Höchstbetrag pro Patient festgelegt?
Beides ist mit dem Leistungserbringer vertraglich geregelt. Die Frage «wann ist ein Kunde palliativ» ist nach wie vor national nicht abschliessend geklärt. Der Begriff «palliativ» sagt nicht aus, ob das die letzten zwei Lebenswochen sind, der letzte Monat oder das letzte Jahr.

Bezahlt Helsana Palliativbetreuung durch Spitex, Onko-Spitex, Hausarzt etc. auch beim Patienten zu Hause?
Spitexbehandlungen werden vom Arzt verordnet. Die Leistungen sind in der KLV Art. 7 geregelt. Die Onko-Spitex kann von der meistbehandelnden Spitexorganisation bei Bedarf hinzugezogen werden. Hausarzt-Konsultationen werden vergütet. Sind dazu Hausbesuche nötig, sind auch diese im Tarif geregelt.

Interview: Martin Schuppli

Schlussbemerkung an die Leserinnen und Leser

Erkundigen Sie sich bei Ihrem Krankenversicherer, wie das gehandhabt wird, mit der Palliativbetreuung. Haken Sie nach, fragen Sie nach, was im Kleingedruckten steht.

Eine Antwort auf „Statt Palliativbetreuung zahlen Kassen lieber Chemotherapien“

Voida sagt:

Ich kann mich nur anschliessen: Palliativpflege sollte von den Krankenkassen der Schweiz übernommen werden. Es ist ein nicht unwichtiger Teil der Gesundheitsversorgung, hier sind also die Krankenkassen am Zug.

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