«Der Glaube an Gott verhindert Leid nicht»

DeinAdieu sprach mit Adrian Wicki, studierter katholischer Theologe und Pfarreileiter in Härkingen SO. Der Kirchenmann findet, «gespielte Anteilnahme ist kontraproduktiv. Besser ist es, auf Impulse, auf den Bauch zu hören und danach zu handeln.»

Wie sollen wir umgehen mit Schicksalsschlägen, mit unbegreiflichem, unverständlichem Leid? Wie sollen wir Trauernden gegenübertreten? Wie sollen wir Anteilnehmen? DeinAdieu fragt nach. Adrian Wicki sagt. «Trost mit Worten zu spenden ist in den meisten Fällen unmöglich. Möglich sind tröstende Gesten, eine Berührung. Deshalb bin froh, besteht die Beerdigungsliturgie nicht nur aus Worten. Werde ich damit beauftragt, eine Beerdigung zu gestalten, gehört für mich ein Bild des Verstorbenen, der Verstorbenen dazu. Auch entzünde ich immer ein Licht der Hoffnung an der Osterkerze. Persönliche Gegenstände aus dem Leben des Verstorbenen nehmen wenn möglich die Einzigartigkeit des Verstorbenen in den Blick.  Ein Lebenslauf ist auch wichtig, also gemeinsam zurückschauen. In solchen Momenten versuche ich, das vergangene Leben mit einer biblischen Botschaft zu verbinden. Mit einer Frohbotschaft, einer Hoffnungsbotschaft, die über jeden Tod hinausweist.

Aber klar ist: Es gibt Situationen, wo das nahezu unmöglich ist. Nach einem Suizid beispielsweise: Da dürfen mir die Worte fehlen. Allerdings kann ich keinen Abschiedsgottesdienst ohne Worte abhalten, das geht nicht. Wichtig ist für mich, vorher zu den Angehörigen zu gehen, ihre Trauer, ihr Leid auszuhalten. In solchen Momenten flüchte ich mich nicht in Worte. Vielmehr versuche ich eine Art Raum zu öffnen, damit die Angehörigen erzählen können. Es ist wichtig, dass wir zuhören können, dass wir als Seelsorger aushalten, nachfragen, Interesse zeigen. Es ist wichtig, dass die Menschen spüren, da ist jemand, der das aushalten kann.

Die Trauerarbeit ist sehr wichtig

Grundsätzlich: Rituale sind wichtige Gefässe. Gerade in der Trauerarbeit. Es gibt Menschen, die fürchten sich vor intensiver Trauer. Ich ermutige die Angehörigen, dass Tränen Platz haben müssen.  Auch während eines Abschiedsgottesdienstes. In der Öffentlichkeit weinen, davor fürchten sich viele – ehrlich gesagt fürchte ich mich genauso davor – aber im Kopf weiss ich: verdrängte Trauer ist ungesund. Und neben den Tränen und des grossen Leides ist die Fröhlichkeit beim Leidmahl sehr wichtig. Trauer ist nie ein gradliniger Prozess, sondern ein Wechselbad der Gefühle.

Trauerfeier: Lasst unterschiedlichste Emotionen zu

Deshalb finde ich es schade, wenn nur im engsten Familienkreis Abschied genommen wird. Das ist in ländlicher Umgebung noch anders. Hier in Härkingen spüre ich, es ist für die Menschen noch stärker ein Bedürfnis, an Beerdigungen Abschied zu nehmen.

Egal, ob ein Tod tragisch war oder nicht. Ich kann es verstehen, wenn jemand Hemmungen hat, auf Trauernde zuzugehen. In solchen Fällen ist es immer noch besser, eine Karte zu schreiben, als beschämt auszuweichen.

Manche Leute möchten reden über das Geschehene, über den Verstorbenen. Ich bringe jeweils etwa 30 Tage nach der Beerdigung die Kerze vorbei, die ich im Abschiedsgottesdienst angezündet habe. Das ist meist ein guter Moment für ein öffnendes Gespräch. Denn dann ist bei den Hinterbliebenen oft eine grosse Leere.

Wie erklären Sie Kindern, Jugendlichen den Tod?

Ich mache das dann, wenn es für Kinder und Jugendliche ein Thema ist. Von mir her setze ich das Thema nicht explizit. Wenn Sterben und Tod Kinder beschäftigt, dann machen sie es meist selber zum Thema. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Abschied von einem 3-jährigen Kind. Es war seit der Geburt schwerbehindert. Die Familie hatte ihr Kind in der Stube im selbstbemalten Sarg aufgebahrt, und alle waren eingeladen vorbei zu kommen und sich am Sarg zu verabschieden. Für meine damals 5jährige, älteste Tochter, war das sehr eindrücklich. Danach kamen automatisch Fragen. Nach dem Gottesdienst liessen wir am Grab «Hello Kitty»-Ballone steigen. Es gab ein Abschiedsfest mit einem Kinderliedermacher. Das Mädchen hatte eine fehlentwickelte Lunge und starb letztlich an Atemnot. Ihr Tod war für alle auch eine Erlösung. Ich finde, wir müssen Kinder nicht verschonen. Sie dürfen, ja sie sollen sich der Endlichkeit bewusst werden, sollen mitkommen auf den Friedhof, sollen eine Aufbahrung ansehen. Ich weiss, dass es nicht alle Eltern begrüssen, wenn bereits Kinder mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert werden.  Andere Leute sind offen für Botschaften, die eine Sinnfrage transportieren. Wir sollten mehr auf unser Leben schauen. Wir sollten uns fragen, was das Leben des Verstorbenen uns «lehren» will. Schliesslich waren die ersten Christen Leute des Weges. Also Pilger im Leben. Das heisst, wir sollten uns auch im Innern bewegen. Denn wer sich nicht bewegt, bleibt stehen.

Was antworten Sie auf Fragen, warum gerade er, warum triffts uns?

Darauf gibts keine plausible Antwort. Der Glaube an Gott verhindert Leid nicht. Der Glaube hilft uns, schwierige Situationen zu bewältigen. Die Frage nach dem Warum führt nicht weiter. Wir müssen uns bewusst sein, niemand steht auf der sicheren Seite.

Was, wenn jemand fragt, was kommt nachher?

Dann wirds spannend. Es gibt Menschen die erforschen diese Frage und erstellen Studien. Schlussendlich aber weiss niemand, was kommt. Ich erzähle jeweils, was ich selber für Bilder habe. Für mich ist der Tod kein Ende, es ist eine Türe. Wir treten ein ins Leben und treten wieder aus, betreten einen anderen Raum. Von diesem Raum existieren die verschiedensten Bilder. Etwa der Himmel. Oder, im schlimmsten Fall, sinds Hölle und Fegefeuer.

Der liebe Gott «nimmt» einen geliebten Menschen, wie soll ich damit umgehen?

Ich sage: Gott ist die Liebe. Den lieben Gott, den gibts so nicht. Ich kann überhaupt nichts mit der Vorstellung anfangen, dass da oben einer hockt und je nach Lust und Laune Menschen aus dem Leben zu sich holt. Der Glaube kann helfen, dem eigenen Leben, mit allen Licht- und Schattenseiten, einen Sinn zu geben. Gott definieren aber, das kann niemand. Gott ist letztlich unvorstellbar. In einem Buch schreibt ein holländischer Pfarrer: «Einen Gott den es gibt, den gibt es nicht.»

Aufgezeichnet von Martin Schuppli

Pfarreileiter Adrian Wicki, studierter katholischer Theologe
Adrian Wicki, studierter katholischer Theologe ist verheiratet, Vater von drei Mädchen und amtet als Pfarreileiter in Härkingen SO.

 «Seelsorge heisst für mich, mit Menschen unterwegs sein»

Adrian Wicki, Jahrgang 1972 studierte in Luzern und Wien Theologie. Als 10- Jähriger Bub wollte er Priester werden. Doch bald einmal wurde ihm klar, dass das zölibatäre Leben nicht seine Berufung ist. «Das zölibatäre Leben wäre nichts für mich gewesen. Der Beruf als Pfarreiseelsorger aber ist für mich Berufung. Ich wuchs in einem religiösen, aber sehr offenen Umfeld auf. Ich hatte immer positive Erlebnisse, empfand die Auseinandersetzung mit der Religion, mit der Kirche spannend und interessant.

Der junge katholische Theologe entschied sich für die Pfarreiarbeit. Doch nach dem Abschluss des Studiums machte er zuerst ein Zwischenjahr. Nach dem CPT – Kurs (Spitalseelsorgekurs) sammelte er im Rahmen des Zivildienstes Erfahrungen in der Spitalseelsorge in Luzern und schliesslich entschied er sich noch vor dem Antritt seiner ersten Stelle in der Pfarrei Emmen zu Fuss die letzten 800 Kilometer des Jakobsweges nach Santiago de Compostela zurückzulegen. «Der Pilgerweg nach Santiago di Compostela war spannend für mich. Eigentlich bin ich ja nicht der Reisetyp. Ich pilgerte alleine, lernte viele Leute kennen.»

Innerlich fühlte sich der damals 28 Jährige getrieben und einsam. Und wie es oft ist, wenn wir im Leben einen zu schweren Rucksack tragen und nicht auf den Körper hören, irgendwann streikte der Körper. Sein Schienbein entzündete sich. Er musste in Burgos eine Pause einlegen. Musste den Rucksack leeren, musste das Gewicht auf reduzieren.  «Der Körper gibt Signale, wenn man zu viel mit sich herumträgt.» Adrian Wicki war einen Monat lang unterwegs und legte täglich rund 30 Kilometer zurück.

Auf dem Pilgerweg erlebte Adrian Wicki die Einsamkeit in seinem Leben. Erkannte Erwartungen, die sich nicht erfüllten. «Es wird einem nicht einfach immer das das geschenkt, was man sich grad ersehnt. Ich lernte Achtsamkeit zu üben, lernte nicht achtlos an Dingen vorbei zu gehen. Ich lernte, die Augen zu öffnen, lernte anders durchs Leben zu gehen.»

«Es dauerte dann nochmals drei Jahre, bis sich meine Einsamkeit wandelte.» In Wien lernte Adrian Wicki seine jetzige Ehefrau Susanne kennen. Sie studierte ebenfalls Theologie.

Heute arbeitet Adrian Wicki, mittlerweile Vater von drei Mädchen, als Pfarreileiter in Härkingen SO. Zudem leitet er den 2013 neu geschaffenen Pastoralraum Gäu. Gemeinsam mit seinem Seelsorgeteam ist er für fünf Pfarreien zuständig. Meine Aufgaben sind sehr vielfältig. Ich habe mit den unterschiedlichsten Menschen in den unterschiedlichsten Situationen zu tun. Ich kann mit Menschen von der Taufe bis zum Lebensende unterwegs sein, das erfüllt mich sehr und es entspricht absolut meiner Berufung.

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