«Über den Tod zu reden, ist nicht chic»

Christine Süssmann leitet das Friedhof Forum der Stadt Zürich. Mit ihrer Arbeit macht sie den Tod, das Sterben und das Abschiednehmen zum Gespräch.

«Obwohl es nicht chic ist, macht es Sinn, über den Tod zu reden»

Kunsthistorikerin  Christine Süssmann.

Ins Friedhofressort rutschte die 58-Jährige eher zufällig. «Vorher arbeitete ich in Basler Architekturbüros, da waren die Tätigkeiten eher zukunftsgerichtet. Erfahrungen mit Veranstaltungen sammelte ich an der Expo 02. In Yverdon leitete ich den Pavillon ‹Wer bin ich›.»

‹Fachstelle für Friedhof- und Grabmalkultur›

Ende 2009 fiel ihr ein Stelleninserat auf: «Die Stadt Zürich suchte jemanden für die Leitung der ‹Fachstelle für Friedhof- und Grabmalkultur›. Das tönte skurril», sagt Christine Süssmann. Gefragt war «Interesse an der Sepulkralkultur», der Kultur des Sterbens, des Bestattens und des Trauerns. Das war ihr alles recht fremd, aber es weckte Neugier. Sie bewarb sich und erhielt die Stelle.

So begann die Baslerin, sich in Zürich mit dem Lebensende auseinanderzusetzen. Im Zentrum standen zunächst die Grabmäler. «Im letzten Jahrhundert waren sie das Hauptthema auf Schweizer Friedhöfen», sagt Christine Süssmann. Gemäss Verordnung durften die Gedenkzeichen weder grell sein, noch wuchtig oder zu gross. Verpönt waren Hochglanz-Oberflächen sowie das Mixen verschiedener Materialien. Fast 100 Jahre lang hatten in Zürich so genannte Grabmalsachverständige streng darüber gewacht, dass die Vorschriften eingehalten wurden. Das führte mit den Jahren zu Problemen. Denn die Bedürfnisse in der Bevölkerung veränderten sich. Deshalb wollte die Stadt den Gestaltungsspielraum erweitern.

Christine Süssmann entwarf eine neue Grabmalverordnung, die 2011 in Kraft gesetzt wurde. «Im Wesentlichen passten wir die Vorschriften der Realität an», sagt sie. «In Zürich lebt eine multikulturelle Bevölkerung. Mit ihr kamen Gestaltungselemente wie Emaille-Fotos oder Bronzevögeli auf die Friedhöfe. Sie fanden bei den Schweizerinnen und Schweizern ebenfalls Anklang und sind heute erlaubt. Ebenso möglich sind Materialien und Techniken wie Mosaike, Beton, Kunststoff, Draht, Klinker, Porzellan oder Glas.»

Ein Kulturzentrum zum Thema Tod

Neben der Leitung der Grabmalkultur baute Christine Süssmann das Friedhof Forum auf. Im Zürcher Bestattungsamt hatte man seit Längerem festgestellt, dass sich immer mehr Menschen im Umgang mit dem Lebensende verunsichert fühlen und sich mehr Informationen wünschen. Vor diesem Hintergrund hatte die Geschäftsleitung des Bevölkerungsamtes die Idee entwickelt, ein Kulturzentrum zum Thema «Tod» aufzubauen. Das Friedhof Forum. Ihm gab Christine Süssmann eine konkrete Kontur.

Als die Stadt das Friedhof Forum im September 2012 im Eingangsgebäude des Friedhofs Sihlfeld eröffnete, war die Spannung gross, ob dieses «Büro für die letzte Reise» in der Bevölkerung wirklich auf Interesse stossen würde. Und das tut es. Die Ausstellungen und Veranstaltungen sind gut besucht. «Im letzten Jahr hatten wir oft zu wenige Plätze, viele Anlässe waren ausgebucht», sagt Christine Süssmann.

Fragen zu Tod & Sterben: Fachleute helfen weiter

Das Friedhof Forum ermöglicht es den Zürcherinnen und Zürchern, sich mit den kulturellen Aspekten des Sterbens, Bestattens und Trauerns auseinanderzusetzen. Das Angebot beinhaltet Ausstellungen, Konzerte, Führungen, Theateraufführungen und vieles mehr. Daneben können sich Besucherinnen und Besucher ebenfalls über praktische Aspekte des Todes informieren. Auf dem Programm standen schon Vorträge zu den Themen Patientenverfügung oder Erbschaft, ein Podiumsgespräch zu den «Letzten Minuten» oder Führungen zum aktuellen Grabangebot. Vor Ort können sich Interessiert mit persönlichen Fragen an das Team des Friedhof Forums wenden. «Es ist nicht so, dass wir alles wissen», sagt Christine Süssmann, «aber wir sind gut vernetzt. Bei Bedarf vermitteln wir Kontakte zu externen Fachleuten.»

Dem Thema Tod musste sie sich erst annähern. «Der erste Besuch im Krematorium Nordheim machte mich betroffen. Ich fand es ernüchternd, zu sehen, was zuletzt von uns übrigbleibt», sagt die Kulturhistorikerin. Darauf schrieb und gestaltete sie zusammen mit dem Zeichner Daniel Müller das Buch «Kremation. Vom Verbrennen der Toten in Zürich». Es erschien 2013. Im Vorwort heisst es: «Das Thema Kremation eignet sich nicht für jede Stimmung. Und doch tut es gut, über das nachzudenken, was uns existenziell betrifft.»

Das ist leichter gesagt, als getan. Christine Süssmann erlebte Zeiten, in denen sie mit dem Thema haderte. «Ich fragte mich, ob es mich runterzieht, wenn ich mich immer mit dem Ende befasse.» Sie hält kurz inne, lässt den Blick über die Ausstellungs-Exponate im Friedhof Forum schweifen und sagt dann: «Heute ist das anders. Die Arbeit ist vielseitig, und wir lernen spannende Leute kennen. Vor allem aber merke ich, dass unsere Aktivitäten auf Interesse stossen und sinnvoll sind. Der Tod hat das Potenzial, mich auf ganz umfassende Art zu berühren. Intellektuell, praktisch, emotional, spirituell, zwischenmenschlich. Die Themen, die wir aufgreifen, interessieren mich persönlich.»

Gibts eine Verbindung zwischen Schlafen und Tod?

Im Gespräch mit deinAdieu taucht unweigerlich die Frage auf: «Was kommt nachher? Was kommt nach dem Tod?» Christine Süssmann sagt dazu Folgendes: «Ja, das nimmt mich ebenfalls wunder. Es ist ja schon schwierig zu sagen, wer überhaupt ‹Ich› ist, geschweige denn, woher das Ich kommt oder wohin es geht. Ich habe nur Bilder. Vermutlich legt sich mein Hirn diese so zurecht, dass es mir wohl ist mit der Zukunftsaussicht. Ich habe zum Beispiel die Vorstellung, dass es zwischen Schlaf und Tod eine Verbindung gibt. Dass im Schlaf etwas von mir dort hingeht, wo etwas von mir auch nach dem Tod sein wird – dieses Bild habe ich gelegentlich. Bestimmt kommt das daher, weil ich so gerne schlafe und sich meine Probleme oft über Nacht lösen. Ich habe das Gefühl, im Schlaf mit etwas in Verbindung zu sein, das ‹jenseits› ist und sehr clever, an einem Ort, wo ich mich abgrundtief erhole und ins Lot komme. Ich zweifle nicht daran, dass es hierfür biologische Erklärungen gibt. Und wenn Sie mich in einem Jahr wieder fragen, werde ich womöglich ein anderes Bild haben.»

Text: Martin Schuppli, Foto: Bruno Torricelli

Friedhof Forum
Aemtlerstrasse 149, 8003 Zürich
Tel. 044 412 55 68

friedhofforum@zuerich.ch |  www.stadt-zuerich.ch/friedhofforum

Öffnungszeiten Friedhof Forum
Dienstag bis Donnerstag:
12.30 bis 16.30 Uhr

3 Antworten auf „«Über den Tod zu reden, ist nicht chic»“

alexander kaestner sagt:

Ich würde gerne regelmässig über das Programm informiert werden.
Ist das möglich?
Alexander Kästner

Martin Schuppli sagt:

Sehr geehrter Alexander Kästner, wir leiten Ihren Wunsch ans Friedhof Forum Zürich weiter. Herzlich Ihr DeinAdieu-Team

Nicolas Gehrig sagt:

Sehr geehrter Herr Kästner
Hier https://www.deinadieu.ch/blog/events/ finden Sie zudem die Veranstaltungen immer aktualisiert aufgelistet.
Beste Grüsse, Nicolas Gehrig

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